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Karl Kautsky

Lieber General,

01. August 2022

engelszungen 08/22

Stuttgart, den 23/11 1894

Ordre – contreordre – désordre – dieses Lieblingswort Liebknechts konnte ich in den letzten Tagen auf die N[eue] Z[eit] anwenden, dank dem Umstand, daß ich nicht in Berlin sitze. Jeden Tag schrieb ich einen Artikel, um ihn am nächsten Tag in den Papierkorb zu schmeißen.

[…]

Ich will, da der „Vorw[ärts]“ Bebel schmählich im Stich läßt, versuchen, was an mir ist, die Diskussion etwas auf das sachliche Gebiet zurückzuleiten, und zwar auf jenes, auf dem wir dem Philistertum überlegen sind. Die Parteipresse behandelt die Bebelsche Rede zu sehr vom formalen Standpunkt, ob er das Recht gehabt habe, so zu reden. Das ist für sie, namentlich für die Gegner Bebels, der bequemste Standort. In sachlicher Beziehung aber hat August m. E. taktisch und thatsächlich Unrecht mit seiner Theorie der Verkleinbürgerlichung unserer Partei. Daß er dieses Schlagwort der Jungen aufnahm, war weder gerechtfertigt noch geschickt. Ich wenigstens sehe keine Anzeichen davon, daß das Philistertum augenblicklich stärker wäre in der Partei, als in der 70er und 80er Jahren. Es hat immer, namentlich unter den Führern, eine große Rolle gespielt. Was die heutige Situation von früher unterscheidet, ist, daß dieß Philistertum einen Kopf gefunden hat in Vollmar. Bisher war das Philistertum viel zu schläfrig und zu unwissend, als daß es neben Leuten wie Bebel etc. hätte aufkommen können. Heute hat es in V. einen ehrgeizigen, energischen und höchst klugen Führer gefunden. Eine weitere Gefahr besteht darin, daß wir eine Masse, nicht bloß kleinbürgerlicher, sondern auch proletarischer Elemente in der Partei haben, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind und theoretisch völlig unklar sind. Die sind von einem geschickten Demagogen leicht zu ködern, neigen heute zu den Anarchisten, schimpfen morgen über die politische Bewegung, welche die gewerkschaftliche schädige, und lassen sich übermorgen von Vollmar einfangen.

Alle diese Elemente sind relativ unschädlich und im richtigen Fahrwasser zu halten, wenn man mit Vollmar und seinem Anhang fertig wird. Gegen den hätte August allein Front machen müssen. Stattdessen attackirt er alle die Elemente, die von Vollmar loszutrennen wären und treibt sie ihm dadurch nur noch fester in die Arme.

Das ist meine Ansicht, so weit ich nach der Parteipresse urtheilen kann.

[…]

Eine Spaltung wäre m. E. das Schlimmste nicht, wohl aber ein fauler Frieden. Wir hätten dann nach 2-3 Jahren, wenn nicht früher, denselben Kampf auszufechten, aber wahrscheinlich gegen einen viel stärkeren Feind. Denn Vollmar ist ein famoser Bauernfänger.

[…]

Besten Gruß Dein

Baron

Mitte der 1890er Jahre ging es in der SPD drüber und drunten. Die „Jungen“ kritisierten die Parteiführung um August Bebel von links. Gleichzeitig gewann eine reformorientierte Strömung, der die klassenkämpferische Theorie herzlich egal war, immer mehr an Einfluss. Einer ihrer Exponenten war Georg von Vollmar. Karl Kautsky, genannt Baron, war ein Vertreter des Marxismus in der Partei.

Quellenangabe: In: Friedrich Engels’ Briefwechsel mit Karl Kautsky, hg. von Benedikt Kautsky, Wien 1955, S. 415-417; die Abb. zeigt Karl Kautsky in jungen Jahren

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