No Country for Old Men
USA 2007, Laufzeit: 122 Min., FSK 16
Regie: Ethan Coen, Joel Coen
Darsteller: Tommy Lee Jones, Javier Bardem, Woody Harrelson, Josh Brolin, Kelly Macdonald, Barry Corbin, Garret Dillahunt, Tess Harper
Süd-Texas, 1980: Die mexikanische Grenze ist nicht weit. Dementsprechend nah die gewaltsamen Auswüchse des Drogenhandels, bei dem (nicht nur) Außenstehende besser ihre Finger aus dem Spiel lassen würden. Doch wer kann dem Lächeln von zwei Millionen Dollar schon widerstehen. Der alternde Sheriff Bell kann nur noch mit dem Kopf schütteln. Als sein Vater und Vorvater noch mit dem Stern an der Brust ein wachsames Auge auf ihr Territorium hatten, war Gewalt zwar kein Fremdwort, der Wilde Westen von derart brachialen Eruptionen aber weitestgehend verschont: Mit Fliegen übersäte Leichen einer augenscheinlich ziemlich missglückten Drogenübergabe tränken die Prärie mit ihrem Blut, während unweit ein durchgeknallter Psychopath seinen Opfern im wahrsten Sinne des Wortes mal eben das Licht ausbläst – "Wild West here, Execution there." Man kann sich die Welt nicht aussuchen. Doch im Gegensatz zu Bell (so knochentrocken wie unverhohlen melancholisch: Tommy Lee Jones), der sich mit beißendem Zynismus stets seiner angestammten Rolle als Schäfchenhüter fügt, ist der Landarbeiter Moss (mal verwegen schweigsam, mal grandios überheblich: Josh Brolin) längst der Verlockung erlegen: So ätzend der Geruch der Kadaver, so verführerisch das Lächeln zweier herrenloser Millionen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wäre da nur nicht dieses Bild des nach Wasser dürstenden letzten Überlebenden des Blutbads gewesen Sein ,Fehler', dass er diesem doch noch zu Hilfe eilt. Unser Glück', dass er damit eine der tollkühnsten Verfolgungsjagden der Filmgeschichte auslöst. Gilt es für Moss zunächst nur, sich den handelsüblich motorisierten Häschern (und einem schwimmwütigen Stafford) zu entziehen, macht sich alsbald eine ganze Rotte wahnwitziger Wüstenhunde auf seine Fährte. Allen voran der psychopathische Killer Chigurh (charmant diabolisch: Javier Bardem), der das philosophische Seziermesser weniger im Sinne seiner Auftraggeber als vielmehr nach eigenem Gutdünken zu führen weiß. Ihm hintendrein sein Berufskollege Wells (jenseits von Gut und Böse: Woody Harrelson), der als bisher einziger Branchendienstleister von sich behaupten darf, eine Begegnung mit Chigurh überlebt zu haben – und aus eben diesem Grunde engagiert wurde, den Entfesselten auf den rechten Pfad zurück zu bringen. Und in ihrem Gefolge unverzagt die Spuren der Verwüstung lesend der fürsorgliche Sheriff Bell. So nüchtern sich Bell den aussichtslosen Fakten stellt, so mehr oder minder ernüchtert dürften die Gebrüder Coen nach den Kritiken zu ihren letzten beiden Filmen gewesen sein. Da muss es geradezu wie eine nonchalante Replik anmuten, wenn Bell dem Lob seines tumben Hilfssheriffs für eine geradlinige Schlussfolgerung entgegnet: "Im Alter flacht man eben ab." Fest steht: Im Angesicht von "No Country For Old Men" braucht man definitiv nicht mehr darüber zu streiten, ob "Intolerable Cruelty" oder "Ladykillers" nun wirklich schlechter waren als "The Big Lebowsky". Wie gehabt brennen sie ein intelligentes Feuerwerk aus filmischen Zitaten ab; nicht zuletzt mit Reminiszenzen an Sam Peckinpahs ambivalente Gewaltdarstellungen und nervenaufreibende Verfolgungsjagden. Auch ihr grotesker und zugleich scharfzüngiger Humor treibt weiterhin so wundervolle Blüten wie in dem Dialog zwischen Moss und seiner Frau Carla Jean (mauerblümchen-besorgt: Kelly Macdonald), der das Unheil des Films erst heraufbeschwört: "Wenn ich nicht zurückkomme, sag Mom, ich liebe sie." – "Aber sie ist tot." – "Dann sag ichs ihr eben selber." Doch erst mit der kongenialen Literatur-Adaption des so vielschichtigen wie tiefsinnigen Neo-Westerns "Kein Land für alte Männer" des Pulitzer-Preisträgers Cormac McCarthy, auf deutsch erschienen im Rowohlt-Verlag, liefern sie ein cineastisches Bravourstück ab. Wie sonst kein anderer versteht es McCarthy, die sich zunehmend verschärfenden Gesetze der Gewalt in der archaisch-schönen Wild-West-Szenerie an der Grenze Mexikos in Szene zu setzen. Gut? Böse? Alles eine Frage der Definition. Eine Frage der Macht, der Gewalt. Doch trotz dieses niederschmetternden Kulturpessimismus bewahrt sich McCarthy genau den Humor und Widerstandsgeist, der den Gebrüder Coen und ihrem virtuosen Bildeinfänger Roger Deakins regelrecht in die Finger spielt. Allerdings mit einem bemerkenswerten Unterschied: Nicht mehr der liebenswerte Loser, sondern vielmehr der entrückte Desperado rückt in den Fokus. Ein Psychopath? Nur weil er sieht, wohin die Regeln führen?
(Lars Albat)
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