Snow Cake
Großbritannien/Kanada 2005, Laufzeit: 112 Min., FSK 6
Regie: Marc Evans
Darsteller: Alan Rickman, Sigourney Weaver, Carrie-Anne Moss, David Fox, Emily Hampshire, Jim Allodi
Den Briten Alex verschlägt es im kanadischen Nirgendwo zur Autistin Linda, bei der er angesichts ungewöhnlicher Perspektiven Gelegenheit zur Selbstfindung erhält.Alle Jahre wieder widmet sich das zeitgenössische Erzählkino Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen. Protagonisten mit physischen Einschränkungen streben dabei zumeist die Überwindung von Grenzen an. Das funktioniert hier Genre übergreifend vom Melodram ("Mein linker Fuß") zur Comedy ("Unzertrennlich"). Überwiegend dem Drama verpflichten sich hingegen Spielfilme, die von Charakteren mit geistigen Behinderungen erzählen. Die Konfrontation mit einer anderen Welt, in die sie durch ihre besondere Wahrnehmung entführt werden, spiegelt oftmals - und gern auch mal ironisch - die Welt der Menschen, die sie umgeben.Down-Syndrom, Tourette-Syndrom oder wie hier Autismus: Die krankheitsbedingte Nonkonformität gibt Filmemachern willkommenen Anlass, die gesellschaftlichen Normen des "gesunden" Standards aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Mit kindischer Unbedarftheit werden verbotene Fragen gestellt, gesellschaftliche Verhaltensregeln werden nicht befolgt und damit zugleich hinterfragt, Tabus werden verkehrt. Dabei wird weniger die Krankheit problematisiert, als dass die Mitmenschen mit alternativen Blickwinkeln konfrontiert werden, wodurch sich neue Perspektiven aufs eigene Leben eröffnen. Autisten sehen ihre Krankheit als integralen Bestandteil ihrer Persönlichkeit, wünschen sich vielfach keine Heilung. Ein etwaiger Heilungsprozess findet im Film somit weniger beim Autisten statt als bei seinem Umfeld.Alle Jahre wieder gibt es Filme, die in einer verschneiten, verschrobenen Gemeinde angesiedelt sind. Schnee, der verdeckt, versteckt, blendet, trügerische Stille vorspiegelt und gern auf skurrile Kleinstädter nieder rieselt, die mit der Zivilisation nicht viel am Hut haben, in der die Einwohner nicht angepasst sind und mit entsprechenden Macken die Norm amüsieren. "Snow Cake" erzählt von einer Autistin in einer verschneiten Kleinstadt im Nirgendwo Kanadas. Dorthin verschlägt es den Briten Alex (Alan Rickman), der auf der Durchfahrt in einen tragischen Unfall verwickelt wird und daraufhin die Mutter des Opfers aufsucht: die Autistin Linda (Sigourney Weaver). Kein Krankheitsbild gleicht bei Autisten dem anderen, Autisten können Genies sein (Kim Peek war Vorbild für "Rain Man"), Nobelpreisträger, Künstler oder eben Linda aus Winnipeg, die zurückgezogen in ihrem Haus wohnt, von einem Putz- und Ordnungsfimmel befallen ist, im Supermarkt jobbt und sich gern im Schnee vergisst. Alex wird sich einige Tage bei ihr einnisten. Anfangs versinkt er in Schuldgefühlen, während seine unnahbare Gastgeberin ihren familiären Verlust scheinbar emotionslos hinnimmt und vielmehr auf den reibungslosen Ablauf ihres Alltags bedacht ist. Während er in der Nachbarin Maggie (Carrie-Ann Moss) eine attraktive Begleiterin findet, füttert uns Regisseur Marc Evans häppchenweise mit Details aus Alex' Vergangenheit, die ihn zunehmend zur tragischen Figur werden lassen, die sich schließlich in der Verlorenheit seiner Gegenüber selbst finden wird.Stilsicher und fern von Sentimentalitäten dirigiert Marc Evans seine Darsteller durch einen berührenden Film, der im Vergleich zu Vorgängern wie "Rain Man" oder "Ich bin Sam" ungleich dichter seine Geschichte erzählt, die Poesie und komödiantische Einflüsse harmonisch einzuflechten weiß. Abgesehen von gelegentlichen unglaubwürdigen Übersprungshandlungen gelingt Sigourney Weaver eine ansehnliche Performance. Nach seinem eher blassen Auftritt in "Das Parfum" überzeugt Alan Rickman hier wieder umso mehr: Seine Tragik, sein britischer Witz, seine lakonischen Kommentare sind es, die gemeinsam mit der seelenvollen Story und einfühlsamen Inszenierung dieses Drama zu einem herausragenden Ereignis erheben.
(Hartmut Ernst)
„Diese Geschichte ist eine Warnung an das Heute“
Mala Emde über „Die Mittagsfrau“ – Roter Teppich 10/23
„Ich fühle mich oft als Außenseiter“
Teo Yoo über „Past Lives – In einem anderen Leben“ – Roter Teppich 08/23
„Das Leben ist im Doppel einfacher zu meistern“
Burghart Klaußner über „Die Unschärferelation der Liebe“ – Roter Teppich 07/23
„Petzold hat einen Reichtum an Anekdoten“
Enno Trebs über „Roter Himmel“ – Roter Teppich 04/23
„Ich hatte bei diesem Film enorm viel Glück“
Tarik Saleh über „Die Kairo Verschwörung“ – Gespräch zum Film 04/23
Mysteriöses auf schottischem Landsitz
„Der Pfau“ im Cinedom – Foyer 03/23
„Emotionen kochen hoch und Leute entblößen sich“
Lavinia Wilson über „Der Pfau“ – Roter Teppich 03/23
Alle Farben der Welt
37. Teddy-Award-Verleihung bei der 73. Berlinale – Foyer 02/23
Drei NRW-Filme im Berlinale-Wettbewerb
20. NRW-Empfang im Rahmen der 73. Berlinale – Foyer 02/23
Hochwertiges deutsches Filmschaffen
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik 2022 auf der Berlinale – Foyer 02/23
„Einen Körpertausch würde ich nicht gerne machen“
Jonas Dassler über „Aus meiner Haut“ – Roter Teppich 02/23
Herbstzeit – Kinozeit
European Arthouse Cinema Day – Festival 11/22
Das Tier im Dschungel
Start: 5.10.2023
Der Exorzist: Bekenntnis
Start: 5.10.2023
The Lost King
Start: 5.10.2023
Anselm – Das Rauschen der Zeit
Start: 12.10.2023
DogMan
Start: 12.10.2023
Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste
Start: 19.10.2023
Killers of the Flower Moon
Start: 19.10.2023
Die Theorie von Allem
Start: 26.10.2023
The Lesson
Start: 26.10.2023
Tori & Lokita
Start: 26.10.2023
Vermeer – Reise ins Licht
Start: 9.11.2023
The Quiet Girl
Start: 16.11.2023
Perfect Days
Start: 21.12.2023