Ozeane, unendlich weit und tief, bedecken 71 Prozent der Erdoberfläche und sind untrennbar mit unserem Schicksal verknüpft: Sie produzieren die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen. Sie nehmen einen großen Teil der Treibhausgase sowie Wärme auf und verlangsamen so den Klimawandel. Fisch und Meeresfrüchte sind für rund drei Milliarden Menschen Hauptproteinquelle.
Doch unsere Meere sind bedroht: In der Tiefsee lagernde Rohstoffe wie Edelmetalle und Manganknollen wecken Begehrlichkeiten der Industrie. Tiefseebergbau, Überfischung, Vermüllung, Industrieabfälle und Schiffsverkehr gefährden und schädigen Meerestiere und Ökosysteme. Bereits 2019 stellte der Weltbiodiversitätsrat fest, dass der Mensch 66 Prozent der marinen Lebensräume erheblich verändert hat. Zahlreiche Tierarten sind nahezu ausgerottet, komplexe Lebensräume auf dem Meeresgrund zerstört, bevor sie wissenschaftlich untersucht werden konnten.
Wie lässt sich diese Entwicklung stoppen? Der Schutz der Meere vor menschlichen Eingriffen ist bisher nur unzureichend geregelt. Staaten können nur in ihren eigenen Küstengewässern und bis zur 200-Meilen-Seegrenze ihre Gesetze durchsetzen – oft im Konflikt mit eigenen wirtschaftlichen Interessen. Die Hohe See dagegen, rund zwei Drittel der Meeresflächen, sind bis heute weitgehend rechtsfrei. Zwar existieren auf Basis des 1982 verabschiedeten UN-Seerechtsabkommens UNCLOS Organisationen, die einzelne Regionen beaufsichtigen, doch mangelt es ihnen an Koordination, Durchsetzungskraft und Transparenz.
Dank moderner Forschungsmethoden wird das Ausmaß der Zerstörung sichtbarer. Erstmals arbeiten Regierungen weltweit an einem gemeinsamen Meeresschutzabkommen. Im Juni 2023 unterzeichneten rund 80 Länder, darunter auch Deutschland, einen UN-Vertrag über die „Biodiversität jenseits nationaler Gesetzgebung“ (BBNJ). Greenpeace bezeichnet das Abkommen als eine der „bedeutsamsten internationalen Vereinbarungen für den Naturschutz in der Geschichte“.
Das Ziel: 30 Prozent der Meere sollen in Schutzgebiete ohne Fischerei und industrielle Nutzung umgewandelt werden. Außerdem sollen Verfahren entwickelt werden, um den Ressourcenabbau und andere Aktivitäten in der Tiefsee auf ihre Umweltverträglichkeit zu prüfen. Diese Prüfungen sind jedoch freiwillig, auch wenn ein Verzicht öffentlich begründet werden muss. Für Staaten des globalen Südens, die weniger Zugang zu den Ressourcen der Tiefsee haben, ist ein finanzieller Ausgleich vorgesehen.
Damit das Abkommen in Kraft tritt, müssen es mindestens 60 Länder bis zur UN-Ozeankonferenz im Juni 2025 ratifizieren. Das ist durchaus ambitioniert und gibt Grund zur Hoffnung. Doch es bleibt die Frage, wie erfolgreich ein Schutzabkommen sein kann, wenn beteiligte Staaten auch gegenteilige Interessen verfolgen.
Ermutigend ist, dass Maßnahmen bereits mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden können. Doch die nicht verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung bleibt ein Schlupfloch, das vermutlich genutzt wird. Während einige Wissenschaftler und Staaten fordern, den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee zu pausieren, bis die Folgen besser erforscht sind, fehlt eine klare Positionierung der Weltgemeinschaft. Viele Länder, darunter Norwegen, drängen darauf, Rohstoffe mit offizieller Genehmigung in der Tiefsee abzubauen. Es bleibt abzuwarten, wie ernst es den Staaten mit dem Meeresschutz tatsächlich ist.
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Ausgefischt
Intro – Meeresruh
Stimmen des Untergangs
Teil 1: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
„Entweder flüchten oder sich anpassen“
Teil 1: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel
Wasser für Generationen
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Wupperverband vernetzt Maßnahmen und Akteure für den Hochwasserschutz
„Tiefseebergbau ohne Regularien wäre ganz schlimm“
Teil 2: Interview – Meeresforscher Pedro Martinez Arbizu über ökologische Risiken des Tiefseebergbaus
Was keiner haben will
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Kölner Unternehmen Plastic Fischer entsorgt Plastik aus Flüssen
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 3: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 3: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung
Korallensterben hautnah
Teil 3: Lokale Initiativen – Meeresschutz im Tierpark und Fossilium Bochum
Exorzismus der Geisternetze
Bekämpfung von illegaler und undokumentierter Fischerei – Europa-Vorbild: Italien
Sinnenbaden im Meer
Ode an das Meer – Glosse
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 1: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Demokratischer Bettvorleger
Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 3: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Maßgeschneiderte Hilfe
Teil 1: Leitartikel – Gegen häusliche Gewalt braucht es mehr als politische Programme
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 2: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen
Der andere Grusel
Teil 3: Leitartikel – Von der rätselhaften Faszination an True Crime
Sehr alte Freunde
Teil 1: Leitartikel – Warum der Hund zum Menschen gehört
Die Masse macht’s nicht mehr
Teil 2: Leitartikel – Tierhaltung zwischen Interessen und Idealen
Wildern oder auswildern
Teil 3: Leitartikel – Der Mensch und das Wildtier
Pippis Leserinnen
Teil 1: Leitartikel – Zum Gerangel um moderne Lebensgemeinschaften
Durch dick und dünn
Teil 2: Leitartikel – Warum zum guten Leben gute Freunde gehören
Von leisen Küssen zu lauten Fehltritten
Teil 3: Leitartikel – Offene Beziehungen: Freiheit oder Flucht vor der Monogamie?