Hinter dem Titel „Oh diese Mädchen!“ verbirgt sich eine so ungewöhnliche wie gewagte Dramaturgie. Emmanuel Lepage, hierzulande auch bekannt durch seinen politischen Mittelamerika-Comic „Muchacho“, bebildert in aufwändigen Aquarellzeichnungen die Story von Sophie Michel. Mit der Geburt der drei Mädchen beginnt es, mit der Geburt von deren Kindern endet es. Sie wachsen bei reichen Eltern, einer alleinerziehenden Mutter oder einer Migrantenfamilie aus Algerien auf, und doch kreuzen sich ihre Linien, und sie werden Freundinnen. Auch wenn die Story durch die Jahre hechelt und das eine oder andere Klischee streift – das Gesamtbild dreier unterschiedlicher Biografien funktioniert, und der Band vermag – nicht zuletzt wegen der schönen Zeichnungen – mit den drei Mädchen und ihrem Schicksal zu fesseln (Splitter).
In der Reihe „Spirou und Fantasio Spezial“ ist nach Emile Bravo, Yann und anderen nun Lewis Trondheim dran. Der ließ sich bestimmt nicht zweimal bitten, seine blühende Fantasie auf das bekannte Chaos-Team – den Pagen und seinen Reporterfreund – anzuwenden. Mit Zeichnungen von Fabrice Parme erzählt er in „Panik im Atlantik“ von einer abgedrehten Schiffsreise. Trondheims Hommage klettert anders als beispielsweise Bravos Band nicht auf die Metaebene, sondern reiht sich mit seinem galoppierenden Irrsinn in die bisherigen Abenteuer ein (Carlsen). Sokal schickt seinen Enten-Bogart Inspektor Canardo in seinem 18. Fall „Opas Asche“ nicht nur ins Mafia-Milieu. Nein, es muss auch noch gepaart sein mit dem Elend der belgischen Arbeiterklasse. Der abgeklärte Enterich muss sich mit schießwütigen Bengeln und kinderschändenden Irren herumschlagen. Wieder einmal Misanthropie in Vollendung (Schreiber & Leser).
Der schottische Künstler David Shrigley ist vor allem durch seine anarchischen wie archaischen Cartoons bekannt. Die findet man nicht nur an Museumswänden, sondern auch auf Postkarten und in Büchern. „Äh … was machst Du da eigentlich? The Essential David Shrigley“ versammelt nun auf 350 Seiten die unterschiedlichsten Zeichnungen – mal bitterböse, mal deprimierend oder traurig – Schwarzer Humor ist King. Neben den Zeichnungen finden sich auch einige fotografische Arbeiten und Skulpturen in der Sammlung. Die Textübersetzungen sind äußerst gelungen und in Zusammenarbeit mit Shrigley entstanden, der sie auch selbst letterte. Wirklich essentiell (Eichborn).
In „Under the Hood“ geht Hans-Joachim Backe der „Verweisstruktur der Watchmen“ nach. Auf 150 Seiten seziert er den Klassiker von Alan Moore und Dave Gibbons, mit dem sie in den 80er Jahren das Superheldengenre sprengten. Backes Auseinandersetzung ist zwar schwer akademisch und dementsprechend sperrig zu lesen, die Analyse fördert jedoch akribisch die vielfältigen Anspielungen und Konnotationen des epochalen Comics hervor (Ch. A. Bachmann Verlag). „Moebius Redux – das Leben von Jean Giraud“ portraitiert den außergewöhnlichen Künstler und sein Werk, das sich schizophren gestaltet: Einerseits hat er als Jean Giraud mit „Blueberry“ den Westerncomic perfektioniert, andererseits hat er als Moebius die Möglichkeiten des Comic ausgelotet – in psychedelischen, teils abstrakten Geschichten, darunter vor allem der Science Fiction-Reihe „John Difool“. Die Doku von Hasko Baumann lässt Giraud und viele seiner Weggefährten zu Wort kommen und berichtet auch von den Filmprojekten, an denen er Anteil hatte („Alien“, „Tron“, „Das fünfte Element“). Auf einer zweiten DVD findet man über zwei Stunden Bonusmaterial (Salzgeber).
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