Mit „Trabanten“ macht Frank Schmolke echtes Genre, und mit Anspielungen auf „Taxi Driver“ und Belmondo setzt er klare Signale. Franz kommt aus dem Knast und gerät direkt in neue Schwierigkeiten. Die Bullen, ein rachsüchtiger Prolet und eine junge Liebe begleiten ihn. Schmolke erzählt zügig und sachlich. Mit kuriosen Stilmitteln – der Protagonist wird klein, wenn er sich klein fühlt, die Passanten bekommen schwarze Balken, wenn sie von der Gewalt wegschauen – zeigt er inszenatorische Eigenart (Edition Moderne). Jean Vautrins Krimi „Bleierne Hitze“ von 1982 wurde bereits 1984 als „Dog Day“ verfilmt.
Die fast zeitgleich mit dem französischen Original auf Deutsch erscheinende Comicadaption von Baru hat sichtlich Freude an dem Panoptikum halbirrer Bewohner eines Bauernhofs, der zum Schauplatz einer Verbrecherjagd wird. Inmitten der saufenden, prügelnden, hurenden und mordenden Erwachsenen steht ein Junge, der sich freut, dass endlich mal was los ist (Edition 52). Krimiqualitäten hat auch „17. Juni – Die Geschichte von Armin & Eva“. Die von Kitty Kahane gezeichnete Geschichte von Alexander Lahl, Tim Köhler und Max Mönch basiert auf den Ereignissen im Sommer 1953 in der DDR, als Arbeiterstreiks die SED kurz auszuhebeln drohten, bevor die Rote Armee den Aufstand gewaltsam niederschlug. Spannend in eine individuelle Geschichte verpackt rekapituliert der Comic die Ereignisse, die nach der Abschaffung des Feiertags in Vergessenheit zu geraten drohen (Metrolit).
Nach seiner Essex County-Trilogie hat Jeff Lemire mit seinem faszinierenden wie erschreckenden Science Fiction-Szenario „Sweet Tooth“ nicht nur den Realismus verlassen, er wird auch ungleich düsterer. Eine tödliche Seuche hat sich ausgebreitet, zugleich werden wundersame Mensch-Tier-Hybriden geboren. Die Geschichte des Hybriden Gus ist auf verworrene Art mit der des ehemaligen Eishockeyspielers Jepperd verbunden. Gemeinsam versuchen sie nicht nur, diese wahnsinnige Welt zu überleben, sie wollen auch das Rätsel der Seuche lösen. Bislang sind drei von sechs Bänden erschienen (Panini). Als sie zusammen mit ihrem Freund Alex Hacke von den Einstürzenden Neubauten beschließt, das Haus aufzugeben und nomadisch zu leben, beginnt die Musikerin und Künstlerin Danielle de Picciotto ein illustriertes Tagebuch. „We are Gypsies now: Der Weg ins Ungewisse“ ist ein entsprechend sprunghaftes, spontanes und persönliches Dokument, das de Picciottos Wünsche und Ängste sehr offen und sympathisch in Wort und Bild vorführt (Metrolit). Der Reprodukt-Verlag arbeitet zurzeit an einer sorgfältig ausgestatteten, mehrbändigen Robert Crumb-Anthologie nach der Übersetzung von Harry Rowohlt. Nach den Literaturadaptionen in „Nausea“ erscheint mit „Mein Ärger mit den Frauen“ nun der zweite Band mit Geschichten zum schwierigen Verhältnis des Meisters der Underground-Comix zu den Frauen.
Eine Analyse von „Gesellschaftsbildern im Independent-Comic“ verspricht Jonas Engelmanns nun in Buchform veröffentlichte Doktorarbeit „Gerahmter Diskurs“. Auf knapp 300 Seiten untersucht er nach einer kurzen Einführung in die Geschichte Rezeption und Theorie des Comic an Hand von bekannten (Hergé, Art Spiegelman, Charles Burns, David B., Joann Sfar, Marjane Satrapi) und weniger bekannten Beispielen die Themen Rassismus, Krankheit und Religion. Engelmann geht im Rahmen seines akademischen Diskurses immer wieder ins kleinste Detail und findet faszinierende Verweisspiele in diesem komplexen Medium – auch wenn man ihm da nicht immer bis ins Letzte folgen muss (Ventil-Verlag).
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