„Brodecks Bericht“ ist ein erneuter Höhepunkt im Schaffen von Manu Larcenet. Nach seinen autobiografischen Reihen „Der alltägliche Kampf“ und „Die Rückkehr aufs Land“ sowie seinen Beiträgen zu der großen Donjon-Reihe hatte er mit dem Vierbänder „Blast“ um einen monströsen Nihilisten andere Töne angeschlagen. Sowohl erzählerisch als auch zeichnerisch ist Larcenet düsterer, existentialistischer geworden. Mit „Brodecks Bericht“, einer Adaption des gleichnamigen Roman des französischen Autors und Regisseurs Philippe Claudel, legt er nun einen Brocken (durchaus auch physikalisch), der den Leser unangenehm an die Gurgel packt. Ein kleines Dorf, vielleicht im Elsass, wahrscheinlich nach dem Zweiten Weltkrieg: Ein Fremder war gekommen, jetzt haben ihn die Dorfbewohner getötet. Der unschuldige Brodeck soll nun einen unverfänglichen Bericht schreiben, der die Täter entlastet. Es ist nicht zu hoch gegriffen, hier jedes einzelne Panel ein Kunstwerk zu nennen, das die seelischen Abgründe der Menschen spiegelt (Reprodukt).
Federico Cacciapaglia schickt in „Immigrant Star“ Ziggy, einen arbeitsuchenden, kosmischen Flüchtling (die Erde ist gerade explodiert) und seinen Hund Bowie ins All. Bowie muss kotzen, wenn er nur das Wort Job hört, und Ziggy merkt nach etlichen Fehlversuchen, dass er sich langsam seiner Bestimmung als freischaffender Künstler annähern muss. Ein wildes Abenteuer durch ein fantastisches Sonnensystem – auf Englisch (Jaja Verlag). Fred Dewilde verarbeitet in „Bataclan – Wie ich überlebte“ seine Erlebnisse bei dem Terroranschlag auf die Pariser Konzerthalle, in der er als Zuschauer war. Die Stunden in Todesangst schildert er in klaustrophobischen Zeichnungen. Seine Gedanken der folgenden Tage und Wochen verfasst er hingegen rein schriftlich. Das ist etwas enttäuschend, vor allem nachdem die Charlie Hebdo-Zeichner Catherine Meurisse und Luz in ihren Werken so eindrucksvolle Bilder für den Weg zurück ins Leben gefunden haben (Panini). Gion Capeder erzählt in „Superman“ von einem erfolgreichen Geschäftsmann, der zwischen Familie, Karrierestress und Affäre langsam den Halt unter dem Boden verliert. In klaren, sachlichen Zeichnungen nähert sich Capeder dem Abgrund, die Kühle der Erzählung steht der Empathie allerdings etwas im Wege. Letztendlich ist einem das selbstverschuldete Schicksal des Protagonisten etwas egal (Edition Moderne).
Neuauflagen: Héctor G. Oesterheld hat in den frühen 60er Jahren den langlebigen Science-Fiction-Comic „Eternauta“ ins Leben gerufen. Mit „Eternauta 1969“ hat er kurz darauf ein stark verkürztes Remake realisiert, das durch die experimentellen Zeichnungen des neuen Zeichners Alberto Breccia um einiges verwirrender ist und damit auch Chaos und Repressionen der verschiedenen Militärdiktaturen im Argentinien der 60er und 70er Jahre, denen Oesterheld schließlich zum Opfer fällt, Rechnung trägt (Avant Verlag).
Ein Sammelband führt anschaulich vor Augen, wie Yves Chaland in den 80er Jahren langsam die Geschichten um „Freddy Lombard“, eine Art erwachsener Tintin, entwickelt. Hier ist auf knapp 250 Seiten alles drin: Die ersten, recht grob gehauenen Ligne claire-Geschichten, die auch mal die frühen rassistischen Töne eines Hergé fragwürdig weitertragen, bis zu den letzten, immer nach nostalgisch geprägten aber auch anspruchsvoll gebrochenen, Abenteuerkomödien, die Chaland vor seinem frühen Tod im sogenannten Atomstil der 80er Jahre noch fertigstellen konnte. Für Komplettisten (Carlsen).
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