Auch in Amerika heißt das Kunstlied „Lied“. Der heimische Liederabend war in den Salons gutbetuchter kulturinteressierter Kreise stets ein Highlight im großbürgerlichen Alltag in den Zeiten, in denen ein Klavier zur Grundeinrichtung eines Hausstandes zählte. Der amerikanische Literat Richard Powers erzählt in seinem sehr weit verbreiteten Buch „Der Klang der Zeit“ über den Aufstieg eines jungen, farbigen, klassischen Tenors in der Hochzeit rassistischer Umtriebe wie von einem Einbruch in die von Weißen bestimmte Hochkultur.
Über die Realität schwarzer Menschen in den USA dichten und singen aktuell der Liederzyklus „Cycles of My Being“ und die Arie „Save the Boys“, zwei Kompositionen des amerikanischen Jazzschlagzeugers und Komponisten Tyshawn Sorey. Der Schlagzeuger als Komponist, das ist keine so übliche Kombination, berühmte Beispiele sind Andrew Cyrille, Gerry Hemingway oder Max Roach. Dazu sollte man allerdings wissen, dass der Jazzmusiker Sorey auch klassisches Klavier studiert hat. Doch die meiste Zeit verbringt der Musiker mit berühmten Künstlern, meist der experimentellen freieren Szene, am Schlagzeug. „Ich genieße es, ein Sideman zu sein und ich genieße es, verschiedene Musikstile zu spielen. Aber ich habe jetzt das Gefühl, dass dies eine Zeit ist, in der ich wirklich meine eigene Musik rausholen muss.“ Das verriet er dem Forum All About Jazz. Seine Werke sind entsprechend persönlich, politisch und changieren zwischen Neuer Musik und Jazz.
Tyshawn Sorey erzählt von Rassismus, Gewalt und Diskriminierung, aber auch von Hoffnung. Der Pulitzer-Preisträger für Musik 2024 nutzt im Liederzyklus „Cycles of My Being“ die Intimität des Genres Klavierlied, um aufzuzeigen, was es bedeutet, heute als schwarzer Mann in den USA zu leben. Im Arien-Text „Save the Boys“ behandelt Frances Ellen Watkins Harper, berühmte Abolitionistin, bereits 1887 die Gefahren, denen junge schwarze Männer in der amerikanischen Gesellschaft ausgesetzt sind. Abolitionisten setzten sich besonders in den Zeiten der Sklaverei für deren Abschaffung ein. Der Dichter Terrance Hayes reagierte zeitgemäß auf die Black-Lives-Matter-Bewegung. Die Sänger werden vom Klavier begleitet, Cello, Klarinette und Violine bringen dabei neue Farben ins Spiel. Der Komponist dirigiert diese deutsche Erstaufführung selbst.
Ruhrtriennale: Cycles of My Being / Save the Boys | 29., 30.8. | Turbinenhalle an der Jahrhunderthalle Bochum | 0234 97 48 33 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Schnöde Technik oder Magie?
„Oracle“ bei der Ruhrtriennale – Prolog 07/25
Ein Bürgergeschenk
Kostenlose Konzerte in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 07/25
Singen gegen den Wahn
Elberfelder Mädchenkurrende in der Friedhofskirche – Musik 07/25
Drei durch die Epochen
Trio Manza im Zentrum Emmaus – Musik 06/25
Ausgefallene Begegnung
Herbert Grönemeyer dirigiert in Bochum und Essen – Klassik an der Ruhr 06/25
Sackschwer
Zamus: Early Music Festival 2025 in Köln – Klassik am Rhein 05/25
Großer Auftritt zum Finale
Der Pianist und Dirigent Lahav Shani in Dortmund – Klassik an der Ruhr 05/25
Kindheit zwischen Flügeln
Anna Vinnitskaya in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 04/25
Entgegen der Erwartung
4.stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen – Festival 04/25
Erfolgreiche Nachwuchsarbeit
Die Elberfelder Mädchenkurrende – Porträt 04/25
Über Glaubensfragen
Mendelssohns „Elias“ am Theater Krefeld-Mönchengladbach – Klassik an der Ruhr 04/25
Besuch aus Schweden
Nina Stemme singt Mahlers „Kindertotenlieder“ in Köln – Klassik am Rhein 03/25
Lebendige Musikgeschichte
Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller in Köln – Klassik am Rhein 06/25
Opernstar zum Anfassen
„Festival Joyce DiDonato & Friends“ in Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/25
Von Heilern und Kindern
Abel Selaocoe in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 02/25
Ein absoluter Tenor
Michael Spyres in der Philharmonie Essen – Klassik an Ruhr 02/25
Die Feste feiern, wie sie fallen
Jan Lisiecki in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 01/25
Zum Auftakt ein Höllentanz
Martynas Levickis mit „Best of Piazzolla“ in Essen – Klassik an der Ruhr 01/25