David liebt Alice seit er sie zum ersten Mal an der Uni sah. Die beiden haben geheiratet, Alice arbeitet als Lehrerin für schwererziehbare Kinder, sie litt an Depressionen und nahm enorm an Leibesfülle zu. Das hat David – der viel Geld mit Computerprogrammen verdient – nicht gestört. Schwierig waren alleine die Diätphasen von Alice, während der sie in üble Laune verfiel. David hat sich vorgestellt, dass Alice umgebracht werden könnte. Als sie tatsächlich an einer Handvoll Erdnüsse stirbt, gegen die sie hoch allergisch ist, hat man ihn als Täter in Verdacht. Die beiden Polizisten Sheppard und Hastroll verhören David, auch sie sind Ehemänner und die Geschichten ihrer Ehen bilden die anderen zwei Drittel von „Mister Peanut“, dem ersten Roman des Amerikaners Adam Ross, der sich bisher mit Erzählungen einen Namen gemacht hat.
Auch Hastroll liebt seine Frau, die eines Tages nicht mehr aus ihrem Bett aufstehen möchte und Sheppard, der in Ohio gelebt hat und als Mediziner für die Polizei arbeitete, verlor seine Frau durch ein Gewaltverbrechen. Adam Ross schneidet die Geschichten der drei Männer ineinander. Das macht er nicht mit dem Fingerspitzengefühl eines Filigrantechnikers, und doch vermag man sich der Wirkung seiner Prosa nicht zu entziehen. Ross erzählt von der Ehe, ihren eingespielten Mechanismen, den gegenseitigen Wahrnehmungsverlusten und von der Nähe, dem Versuch, Zugang zum Anderen zu finden. Dramatisch geht es zu, es fehlen weder Liebe, noch Mord oder Sex im Auto, wir erleben eine tragische Fehlgeburt und ein Ehepaar, das sich buchstäblich am Abgrund befindet.
Ross packt in diesen Roman zu viel hinein, ein typisches Debütanten-Problem. Aber eines, das man schnell verzeiht, angesichts des erfrischenden Realismus, mit dem uns Ross auf die emotionale Achterbahnfahrt des Ehelebens katapultiert. Die Prosa des gebürtigen New Yorkers ist von einer sinnlichen Präzision und einer Körperlichkeit, die seinen klugen psychologischen Beobachtungen die nötige Glaubwürdigkeit schenkt. Adam Ross ist ein Autor, der sich überall auskennt, der sich alles zutraut und dem man deshalb gerne folgt. Seine Figuren sind interessant, besitzen Kontur, sind eigenwillig und sexy. Auf Klischees braucht Ross nicht zurückzugreifen. Und im Finale, dort, wo vielen Autoren der Sprit ausgeht, leistet sich Ross großzügig gleich mehrere Finalversionen. Ein Roman voller Inspiration, der zu überraschen versteht und den man letztlich gar nicht mehr aus der Hand geben möchte.
Adam Ross: Mister Peanut | Deutsch von Eva Bonné | Piper Verlag, 494 S., 22,95
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