1980 schaut die ganze Welt auf Belfast, die Stadt, in der sich Bobby Sands im Gefängnis Long Kesh zu Tode hungert. Margaret Thatcher hatte für Sands und die anderen neun Gefangenen der IRA, die nach ihm starben, nicht mehr als ein Achselzucken übrig. Das ist die Zeit, in der Sean Duffy als Katholik im britischen Polizeikorps Dienst tut. Während sich im einen Teil der Stadt die Jugendlichen Straßenkämpfe mit den Briten liefern, wird im Vorort Carrickfergus die Leiche eines Mannes in einem verbrannten Auto entdeckt. Eine Hand ist ihm abgeschnitten worden. Zwar liegt im Fußbereich des Wagens eine Hand, als sie jedoch näher untersucht wird, stellt man fest, dass sie jemand anderem gehören muss.
Detective Sergeant Sean Duffy ist „der katholische Bulle“, einer, der zwischen allen Fronten steht und dennoch nicht alleine bleibt. Die schöne Ärztin Laura Cathcart beginnt eine Affäre mit ihm, und diese Beziehung wird Zukunft haben. Keine Zukunft hingegen hat die arme Lucy Moore, die vor einiger Zeit aus Belfast verschwand und vermeintlich Selbstmord in einem nahegelegenen Wald begangen hat. Zwei Todesfälle, die scheinbar nichts verbindet, und doch ist Duffy überzeugt, dass es einen Zusammenhang geben muss. Adrian McKinty beschwört die Stimmung einer Stadt herauf, die sich am Vorabend eines Bürgerkrieges befindet. Die bitteren Tage, die auf die Todesmeldungen aus Long Kesh folgen, sind noch nicht eingetreten. Im Schatten dieses vergifteten politischen Klimas scheint jedoch ein Killer sein Unwesen zu treiben, und natürlich mag niemand in der Welt der Katholiken ein Sterbenswort mit der Polizei wechseln.
Die Atmosphäre in der Stadt und ihren Randbebauungen, in die die irische Provinz mit satten grünen Landschaften eindringt, beschreibt Adrian McKinty in dunklen, eindrucksvollen Farben. Ein allgegenwärtiges Lauern ist zu spüren. McKintys Held ist jung, nicht naiv, aber zuversichtlich und durchaus in der Lage, Fehler zu begehen. Er will die Lösung der Kriminalfälle erzwingen und findet auch Antworten. Zur gleichen Zeit wird in England der Yorkshire Ripper vor Gericht gestellt. McKinty legt dabei Verbindungen zu David Peaces Romanen über den Ripper, und doch handelt es sich hier um zwei sehr unterschiedliche Welten. Peace nämlich schreibt mit unerhörter Kühnheit, so wild und experimentell, dass es mitunter schwer fällt, ihm zu folgen. Das Grauen gewinnt noch an einschüchternder Wirkung durch das Zeitkolorit, mit dem Peace aufwartet, und das Peter Torberg genial übersetzte. Torberg nun findet auch den klaren, zupackenden Ton für McKintys flüssig dramatisierte Story, die angenehm konventionell gehalten ist und seine Leser nicht mit einem offenen Ende frustet. Bei aller Anarchie im Norden Irlands rundet sich die Welt letztlich zu einem faszinierenden Krimiepos, das freilich den Blick auf weitere Abenteuer des sympathischen „Bullen“ eröffnet.
Adrian McKinty: Der katholische Bulle | Deutsch von Peter Torberg | Suhrkamp Verlag | 384 S., 19,95 Euro
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