Der rote Teppich des Cineworld in Lünen ist bis auf den letzten Meter mit Festivalbesuchern gefüllt. Es gibt Currywurst in edler Buffetvariante und Bürgermeister Stodollick stellt klar: Wir sind unter Freunden. Denn ein rumänisches Sprichwort besage, dass nach einem zweiten Besuch der Gast zum Freund werde. Demnach sei Ministerpräsidentin Hannelore Kraft eine Freundin und müsse ihre Tradition direkt mit dem Besuch des 24. Kinofestes Lünen fortsetzen. Petra Müller, Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung und zum dritten Mal dabei, ist nach dieser Logik bereits eine sehr gute Freundin. Sie erhält die Ehrenfilmklappe für ihr Engagement und findet, dass die Stiftung schon die richtigen Filme fördere. Dass dem so ist wird einem spätestens nach den 97 Minuten von „Zwei Leben“ klar. Der Eröffnungsfilm von Regisseur Georg Maas spannt den Bogen vom Dritten Reich über den kalten Krieg bis in die Jahre nach dem Mauerfall. Der Film beginnt verwirrend. Die Mauer ist gefallen und eine rothaarige Frau mit Kurzfrisur geht nach der Sicherheitsschleuse schnurstracks auf die Toiletten zu. Mit verbissener Miene durchläuft sie ein deutlich eingeübtes Prozedere und verlässt die Flughafentoilette mit langen, schwarzen Haaren. Dann plätschert die raue See in einem norwegischen Fjord. Eine Ruderin kommt gerade von ihrem allmorgendlichen Sportritual zurück. Beide Male ist es die Protagonistin Katrine. Sie ist in Ostdeutschland aufgewachsen und ein „Lebensborn“-Kind. Diese Kinder entstammten Beziehungen zwischen deutschen Soldaten und Norwegerinnen und wurden nach Deutschland verschleppt, weil sie als besonders „arisch“ galten. Nach einer spektakulären Flucht nach Norwegen lebt die Ostdeutsche seit nunmehr 20 Jahren mit Mutter, Mann, Tochter und Enkelkind in einer behaglichen Küstenstadt. Als ein deutscher Anwalt auftaucht, der eine Klage gegen den Norwegischen Staat über die Lebensborn-Schicksale vorbereitet, zerreißt Katrines fragile Lebensmontage.
Eröffnungsfilm des Kinofests Lünen: "Zwei Leben". Foto: Presse.
Es sind diese zwei Leben, die sich nicht trennen lassen, trotz der dazwischen verstrichenen Zeit. Das Handeln der Vergangenheit hat Konsequenzen, neue Entscheidungen müssen getroffen werden. Nach und nach spinnt der Plot ein lähmendes Netz aus Lebensabschnitten, das Tragik und Glück unwiderruflich verbindet. Maas schneidet und verwebt verschiedene Szenen ineinander. So folgt der Anblick von abgerissenen, kaputten Hausfassaden im deutschen Osten, naturgewaltigen Bildern von spritzender Meeresgischt in einem Fjord. Der urige Alltag in Norwegen wird durch eine rauchende, schwarzhaarige Katrine in einer Kneipe abgelöst. Alte, verpixelte Stasiaufnahmen kommen hinzu. Dann sieht man die junge Katrine in einem Wald, später wieder in der norwegischen Küche. Dieses sensibel aufgebaute Filmkonstrukt ist der Einblick in Katrines Seele und die Erklärung für die ungeklärte Wahrheit ihres Lebens. Deutsche Kriegs- und Nachkriegsgeschichte werden mit der Gegenwart mittels raffinierter Montage zueinander in Beziehung gesetzt. Regisseur Georg Maas, der zehn Jahre um die Realisierung seines Wunschprojektes kämpfte, sowie Hauptdarstellerin Julianne Köhler sind sichtlich gerührt, dieses Werk auch noch „auf einer so schönen, großen Kinoleinwand“ zu sehen. Auf eine solche gehört „Zwei Leben“ auch projiziert. Ganz großes Kino unter Freunden in Lünen.
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