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Selbstgezogene Erdbeeren gehen auch auf dem eigenen (Süd)Balkon
Foto: Sabrina Didschuneit

„Die Pflanzen gehören dem Garten und der ist offen für alle“

22. Dezember 2016

Robert Shaw über die Arbeit im Prinzessinnengarten mitten in Berlin – Thema 01/17 Biokost

engels: Herr Shaw, wie würden Sie jemandem den Prinzessinnengarten erklären, der noch nie selbst etwas angepflanzt hat?
Robert Shaw: Mittlerweile bezieht sich das schon nicht mehr nur auf das Anpflanzen. Wir sind ein Ort des Selbermachens und dabei voneinander Lernens. Der Garten ist ein Ort der Partizipation, ein Bildungsprojekt im Austausch. Und er steht jedem offen, der sich beteiligen möchte.

Das Grundprinzip basiert trotzdem auf dem gemeinsamen Anpflanzen von Obst und Gemüse?
Das ist natürlich immer noch der Kern und in den Garten geht auch die meiste Arbeit. Wobei durch die Teilnahme von immer mehr Menschen auch immer wieder neue Projekte entstanden sind. Das leitet sich oft aus den Dingen ab, die man beim Anbau lernt: Wann ist ein Produkt saisonal, welche Lernerfolge kann man haben, wie viel Mühe bedeutet es, wie steht die Mühe in Relation zum Preis im Supermarkt, welche agrarpolitischen Überlegungen stecken hinter der Produktauswahl in den Märkten? Das sind die Hauptthemen. Mittlerweile haben wir zwei offene Werkstätten, in denen es darum geht, sich mit anderen Dingen selbst zu versorgen.

Wie kann man teilnehmen?

Robert Shaw
Foto: Presse

ZUR PERSON

Robert Shaw (39) ist Gründer des Projekts Prinzessinnengarten und mit Marco Clausen Geschäftsführer der Nomadisch Grün gemeinnützige GmbH


Man kommt einfach rein und sagt „Ich möchte teilnehmen“. Mehr als die Bereitschaft braucht es nicht. In der Saison haben wir bis zum Winter sieben Tage in der Woche geöffnet. Für alle, die zum ersten Mal beim Gärtnern dabei sein wollen, gibt es donnerstagnachmittags oder samstagvormittags Einführungsstunden. Freitags gibt es zudem ein wöchentliches offenes Treffen. Wer kommt, bringt entweder eine eigene Idee mit, was er tun möchte, oder wir erklären, was aktuell ansteht.

Wie ist die Resonanz der Menschen?
In der Tendenz sehr klar positiv. Hintergrund und Motivation der Leute teilzunehmen, sind sehr vielfältig. Das ist eine Qualität des Gartens. Manche kommen wegen der Gartenarbeit, andere wollen spezielle gärtnerische Dinge lernen, andere kommen aus politischem Interesse, wieder andere aus gastronomischem Interesse. Das wird im Garten alles bedient. Zusammengefasst kann man sagen, wir bieten Handlungsoptionen, wie man sich auch in der Stadt nachhaltig verhalten kann.

Wie sieht das in Besucherzahlen aus?
Als wir 2009 angefangen haben, war das Urban Gardening noch nicht besonders bekannt. Vorher gab es auch schon urbane Gärten wie Schreber- oder interkulturelle Gärten. Bis 2013 zog das Interesse massiv an und es gab einen richtigen Hype rund um das gemeinsame Gärtnern. Wir waren damals noch gar nicht so weit (lacht). Wir haben unsere Angebote verstetigt um die Teilnehmerzahlen aufzunehmen. Im Jahr machen bei allen Angeboten, die wir betreuen, fünf bis sechstausend Leute mit. Das ist sehr viel und jedes Jahr ein bisschen mehr.

Wann haben Sie gemerkt, dass das Projekt Prinzessinnengarten eine größere Nummer werden könnte?
Das kam von vornherein. Ich glaube, es hatte viel mit der Wirtschaftskrise von 2008 zu tun. Menschen haben begonnen, mehr vor der eigenen Haustür zu schauen, als in den Urlaub zu fahren. Wir haben damit einen Nerv getroffen und es gab vom ersten Tag an eine überwältigende Menge an Menschen, die teilnehmen wollten. Das war schon in der Vorrecherche und bei der Flächensuche klargeworden. Es war schon in der Konzeption klar, dass das nicht als Freizeitprojekt gehen wird, sondern langfristiger gedacht werden muss. Im Kern waren wir damals fünf oder sechs Leute. Es war durch das öffentliche Interesse teilweise schwierig, sich selbst noch dem Garten zu widmen.

Wie sind Sie an das Grundstück gekommen?
Das war eine kleine Odyssee. Wir hatten ursprünglich um ein anderes brachliegendes Grundstück verhandelt. Der Investor hat dann aber vor einer zu großen ökologischen und sozialen Zwischennutzung zurückgeschreckt. Durch den damaligen Bezirksbürgermeister kam der Kontakt zu den Investoren des Modulor-Aufbauhauses zustande. Sie wollten ein Materialkaufhaus und einen Buchverlag gegenüber dem Gelände aufmachen und wollten die Gegend für Laufkundschaft beleben. Seit dem zweiten Jahr mieten wir das Grundstück über unsere gemeinnützige GmbH.

Kann man sich als Teilnehmer auch einmieten oder -pachten?
Grundsätzlich ist es ein Gemeinschaftsgarten. Es gibt keine privaten Flächen. Das wäre auch zu beschränkend. Die Pflanzen gehören dem Garten und der Garten ist offen für alle. Wer mindestens eine halbe Stunde am Tag bei uns mithilft, bekommt seine Ernte oder das Essen im angeschlossenen Restaurant zum halben Preis. Sie gehen zum Beispiel hin und geizen Tomaten aus, die jemand anders in sechs Wochen ernten und essen wird. Dafür können Sie am gleichen Tag hingehen und nach der Arbeit das ernten und essen, was jemand anderes vor sechs Wochen angebaut hat. Wir wollen die Ernte nicht verschenken, weil klar sein muss, dass gute Lebensmittel ihren Wert haben. Unsere Preise lehnen sich an den Preisen bei Aldi an: Wir ziehen zehn Prozent ab und verdoppeln den Preis dann, so dass wer mithilft, zehn Prozent unter dem konventionellen Preis liegt.

Was versprechen Sie sich allgemein von dem Modell?
Das sind verschiedene Sachen. Wir sind gemeinnützig unter dem Oberbegriff „Volksbildung“. Unser Bildungsmodell ist, dass Menschen gemeinsam etwas tun und etwas voneinander lernen. Der Zweck soll es sein, sich nicht nur als Konsument zu sehen, sondern als selbstständiger Akteur anders verhalten zu können. Früher dachte ich, wenn ich in den Bioladen gehe und dort einkaufe, wird das schon irgendwie richtig sein. Es ist ja Bio. Es geht aber noch viel differenzierter. Heute weiß ich: Wann sind Möhren reif, wie lange können sie gelagert werden, und zu welchem Zeitpunkt kann ich davon ausgehen, dass sie im Supermarkt hier aus der Gegend kommen? Jetzt weiß ich, unter welchen Bedingungen Discounter-Bio produziert wird. Dieses Wissen wird über verschiedenste Veranstaltungen in unserem Garten transportiert.

Warum ist es denn wichtig, dass Leute aus der Stadt wissen, wann die Möhre erntereif ist?
Weil wir komplett entkoppelt von der Natur leben. Was landwirtschaftliche Produkte angeht, sind wir eigentlich nur noch Konsument. Die Landwirtschaft findet nur noch hochindustriell statt. Wir kriegen davon nichts mehr mit. In der Masse ist das Hauptkriterium beim Essen eigentlich nur noch der Preis. Es geht darum, wie billig etwas ist, und nicht darum, welche Inhaltsstoffe es hat oder ob es gut schmeckt.

Sie wollen also ein anderes Bewusstsein gegenüber den Erzeugnissen fördern.
Ja, aber nicht nur. Das erstreckt sich wie gesagt auch auf andere Themenbereiche, wie zum Beispiel Möbelbau. Wenn ich in den Baumarkt gehe und Holz kaufe, kostet das ohne Arbeitszeit und Material mehr als ein komplettes Regal bei Ikea. Wir wollen aber das Selbermachen fördern. Das ist ein Wert an sich und führt zur Selbstermächtigung.

Sie betreiben auch ein Restaurant. Kommt dafür alles aus eigenem Anbau?
Nein, keine Chance (lacht). Im Sommer verkaufen wir bis zu 300 Essen pro Tag. Teilt man die gesamte Ackerfläche der Welt durch die Zahl der Menschen, bleiben für jeden 2000 Quadratmeter übrig, auf dem alles wachsen muss. Der Prinzessinnengarten selbst hat eine reine Anbaufläche von 500 Quadratmetern. Wir könnten vielleicht einen oder zwei vegane Menschen damit ernähren. Im Restaurant ist aber immer etwas aus dem Garten dabei.

Woher bekommen Sie dann die Zutaten?
Von kleinen Bio-Höfen der Umgebung oder vom Bio-Großhändler.

Und das finanziert sich alles gegen?
Die Gastronomie ist eine von den zwei großen Einnahmequellen des Gartens. Wir haben im Mittel 20 sozialversicherungspflichtige Angestellte im Jahr – für alle Teile, Garten, Gartenbau, Gastronomie und Verwaltung zusammen. Der andere ist der Bereich Gartenbau, bei dem wir bereits über 150 Gärten an Sozialorten aber auch in Firmen entwickelt haben, darunter rund 50 Schulgärten.

Sie selbst waren früher Dokumentarfilmer? Wie wird man dann zum Gärtner?
Meine Großmutter hat mich auch immer wieder in den Schrebergarten mitgenommen. Ich habe die Schule abgebrochen und Friedhofsgärtner gelernt (lacht). Danach habe ich Regie studiert und dann zehn Jahre lang im Theater gearbeitet. In der Studienzeit habe ich anderthalb Jahre auf Kuba verbracht. Dort gibt es seit Anfang der 90er Jahre ein landesweites Versorgungssystem über urbane Gärten. Havanna hat sich Ende der 90er Jahre zu 90 Prozent selbst mit Gemüse versorgt. Kuba steckt als einzige Landwirtschaft der Welt heute weniger Energie in die Agrarwirtschaft als es herausbekommt. Ich bin damals mit der Frage zurückgekommen, ob man sowas nicht auch bei uns machen kann. Dann kam mein Sohn und die Zeit war reif.

Was ist denn Ihre persönliche Lieblingszeit im Prinzessinnengarten?
Für mich ist es die unglaublich bereichernde Fülle an Dingen, die ich dort lernen durfte. Es kommen so viele Experten zu uns, aber auch Laien, die sich ihre Erkenntnisse aufgebaut und erarbeitet haben. Die Mischung aus Perspektive und Wissen ist einfach unheimlich bereichernd.


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