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Christoph Butterwegge
Foto: Swaantje Düsenberg

„Politik für das Gemeinwohl, nicht für Unternehmen“

30. April 2025

Teil 2: Interview – Armutsforscher Christoph Butterwegge über die Umverteilung von Reichtum

engels: Herr Butterwegge, hilft es der Wirtschaft, wenn Steuererleichterungen für Unternehmen durch Kürzungen im sozialen Bereich finanziert werden?

Christoph Butterwegge: Was Sie beschreiben, ist der angebotsorientierte, neoliberale Ansatz. Man will die Unternehmen steuerlich entlasten oder subventionieren, weil man glaubt, sie würden dann investieren, mehr produzieren lassen und mehr Arbeitskräfte einstellen. Diese Linie vertritt auch Friedrich Merz. Es ist so ähnlich wie mit der militärischen Abschreckung, es erscheint erst einmal einleuchtend. Aber wie Abschreckung zum Wettrüsten führt, so führt die Fixierung auf Wettbewerbsfähigkeit zu einem Steuersenkungswettlauf, bis Staaten im Extremfall den Unternehmern noch Geld dafür zahlen, dass sie etwas unternehmen. Neoliberale Standortlogik basiert darauf, anderen etwas vom Kuchen abzuschneiden. Politik sollte aber nicht Unternehmensinteressen dienen, sondern dem Gemeinwohl. Ich vertrete, angelehnt an den Ökonomen John Maynard Keynes, die andere Grundposition: Man stärkt die Nachfrageseite und gibt denjenigen, die manches kaufen würden, wenn sie mehr Geld hätten, einen höheren Mindestlohn oder höhere Sozialleistungen. Wenn die rund 15 Millionen Armutsbetroffenen und -bedrohten in Deutschland mehr Geld zur Verfügung hätten, würden Nachfrage und Binnenkonjunktur angekurbelt und Unternehmen motiviert, stärker zu investieren, um die wachsende Nachfrage zu befriedigen. 

Sie denken zuerst an Geringverdiener und Transferleistungsempfänger – aber nicht an den Mittelstand?

Wenn der Mindestlohn steigt, steigen auch die anderen Löhne und Gehälter. Diejenigen, die mehr verdienen, fordern dann ebenfalls einen höheren Lohn oder ein höheres Gehalt. Das ist auch der Grund, weshalb der Mindestlohn von Unternehmerseite so massiv bekämpft wird. 

„Ich vermute, Politiker handeln unverantwortlich, weil sie falschen Überzeugungen anhängen“

Durch höhere Lohnkosten steigen die Produktpreise. Haben Arbeiter dann wirklich mehr als vorher?

Natürlich muss man beim Friseur und wahrscheinlich auch beim Bäcker mehr bezahlen. Aber in anderen Wirtschaftszweigen – etwa der Automobil- oder der Elektronikindustrie – machen die Lohnkosten verhältnismäßig wenig aus. Auch durch den zunehmenden Einsatz von KI und der Digitalisierung gehen die Lohnkosten weiter zurück.

Die Probleme sind nicht neu, überzeugende Lösungen scheinen fern. Liegt es daran, dass Politiker nur in den Perioden denken, in denen sie regieren?

Das könnte theoretisch sein, auch wenn ich dieser Erklärung nicht traue. Was mich an ihr stört, ist der Umstand, dass sie sich im Grunde gegen die Demokratie richtet. Wären Politiker für einen längeren Zeitraum oder gar nicht gewählt, träfe der Vorwurf, dass sie kurzatmig agieren, ja nicht mehr zu. Ich vermute eher, dass Politiker, die unverantwortlich handeln, das tun, weil sie falschen Überzeugungen anhängen, etwa jener, dass der Markt sowieso alles richten würde. Wenn man der Auffassung ist, möglichst viel Ungleichheit führe dazu, dass die Menschen motiviert sind und sich mehr anstrengen, will man den Armen nichts Gutes und stellt sich auf die Seite der Reichen. Ich denke, es muss eine Rückverteilung von Reichtum stattfinden, hin zu denjenigen, die ihn erwirtschaftet haben. Mein letztes Buch, „Umverteilung des Reichtums“, enthält Vorschläge, wie das zu realisieren wäre.

„Solidaritätszuschlag zu einem Krisensoli umwandeln und verdoppeln“

Können Sie das erläutern?

Das wichtigste Instrument ist die Steuerpolitik. Um Spitzenverdiener, Kapitalanleger und Konzerne stärker zur Lösung der sozialen Probleme unseres Landes heranzuziehen, müsste der Solidaritätszuschlag zu einem Krisensoli umgewidmet und verdoppelt werden. Auch wenn die Lasten der deutschen Vereinigung um das Jahr 2030 herum bewältigt sind, brauchen wir diese Ergänzungsabgabe auf die Einkommensteuer, auf die Kapitalertragsteuer und die Körperschaftsteuer. Die im Volksmund liebevoll „Soli“ genannte Abgabe bringt dem Bund jährlich zwischen 12 und 13 Milliarden Euro ein. Auch wenn man ihn verdoppelt, würde niemand überfordert, denn es gibt ja beim Einkommen hohe Freibeträge. Zweitens würde ich die Hochvermögenden stärker zur Kasse bitten. 

Mit einer Reichensteuer?

Die beträgt 45 Prozent auf das Einkommen, allerdings muss sie ein ganz Reicher, der von seinen Kapitalerträgen lebt – Zinsen, Dividenden oder auch Mieteinnahmen – gar nicht zahlen, weil sie nur auf Erwerbseinkommen fällig wird. Das ist doch verrückt. Nötig wären die Wiedererhebung der Vermögensteuer, die seit 1997 ausgesetzt ist, und eine Vermögensabgabe von zehn Prozent, verteilt über fünf Jahre. Schließlich wurden hohe Vermögen beim Lastenausgleich ab 1952 zur Hälfte wegbesteuert, wiewohl über einen langen Zeitraum von 30 Jahren.

Interview: Daniela Prüter

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