Die Energie führen sie schon im Namen. „Total Brutal“ nennt sich das Ensemble von Nir de Volff. Politische Bezüge sind immer im Spiel bei de Volff, der als Israeli und ehemaliger Soldat einen ganz eigenen Blick auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat. Im Laufe seiner Tanzkarriere ist er nach Berlin gekommen, hat sich von der Stadt in Bann schlagen lassen und stellt inzwischen eine feste Größe innerhalb der Tanzszene der Hauptstadt dar. „Come as you are“ heißt die Produktion, mit der das Ensemble nach Köln zur Sommerakademie in die TanzFaktur kommt. Der Titel bedeutet aber nicht, dass sich das Publikum ausziehen muss. Die Tänzer werden das gleichwohl tun und demonstrieren, dass die Urform der Bewegung ohne Kostüm gedacht werden muss. Außerdem kommen sie aus Syrien, so dass der Titel eine zusätzlich brisante Drehung erfährt.
An die große Tradition der Sommerakademie des Tanzes in Köln wollte Slava Gepner anknüpfen, als er in Deutz ein neues Zentrum für den Tanz in der Domstadt schuf. Kontinuierlich vergrößerte sich das Programm und die europäischen Gäste brachten hervorragende Produktionen an den Rhein. Der Grundgedanke der Akademie erfährt mit der 4. Auflage eine zusätzliche Betonung. Die Gäste unterrichten im Rahmen eines umfangreichen Workshop-Programms und stellen dann auf den beiden Bühnen ihre eigenen Produktionen vor.
„Wir werden die Faktur in einen Campus verwandeln, auf dem über den ganzen Tag hinweg getanzt, gegessen und diskutiert wird“, erklärt Slava Gepner. Neben Nir de Volff bilden vier weitere israelische Choreografen den Schwerpunkt des Festivals. Dabei spielt nicht allein die Tatsache des Jubiläums der Staatsgründung vor 70 Jahren eine Rolle, sondern auch die interessante Struktur, die die Realität des modernen Tanzes in Israel angenommen hat. Oftmals produziert man im Land, bewegt sich danach aber zumeist auf den Bühnen im internationalen Ausland. Das schafft Erfahrung und sorgt für ein Tanzverständnis, das sich unmittelbar an den ästhetischen Entwicklungen der Gegenwart orientiert.
Europa ist wieder stark vertreten in der Akademie. So entstand die Choreografie „Evol“ der Belgierin Claire Crozés aus einem intimen Bewegungsvokabular, das zu den Kompositionen von David Bowie die Schönheit auszumessen versucht. Der Däne Jasper van Luijk spielt in dem ebenfalls nackt getanzten Solo „Yonder“ subtil mit der Grenze zwischen Licht und Schatten. Eine Produktion, die die Bedeutung des Timing im modernen Tanz thematisiert. Zum Abschluss des Festivals gibt es möglicherweise auch die Abschlussproduktion eines Duos, das seit zwei Jahrzehnten im Rampenlicht steht: Alessandro Bernadeschi und Mauro Paccagnella bieten mit „Happy Hour“ eine Produktion, in der Humor und Trauer fließend ineinander übergehen. Und sie zeigen, wie faszinierend es sein kann, männliche Körper, die nicht mehr ganz jung sind, in der Bewegung zu sehen.
Sommerakademie-Festival | 13.-28.7. | TanzFaktur, Köln-Deutz | www.tanzfaktur.eu
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Neue Perspektiven
Ausbau der Tanzfaktur wirft Fragen auf – Tanz am Rhein 02/19
Sprungbrett
„Was rauskommt, ist unklar“ – ein Rechercheformat bei tanz nrw – Tanz in NRW 04/17
Tanz nach Büroschluss
Köln: Gelungenes Winter-Festival an der TanzFaktur – Tanz in NRW 01/15
Tanz-Herbst-Premieren in Köln
Kölns freie Tanzszene startet in die neue Spielzeit – Tanz in NRW 10/14
Begegnung mit dem Anderen
Das El Cuco Projekt zeigt das lauernde Tier in uns – Tanz in NRW 12/20
Was hält uns zusammen?
Das Festival Urbäng! betrachtet Familie, Männlichkeit und Kapitalismus – Tanz am Rhein 10/20
Plastik hat mir das Leben gerettet
Choreografin Bibiana Jiménez brilliert mit weiblichen Themen – Tanz am Rhein 09/20
Die vitale Versehrte
„Fractura“ erzählt von den Brüchen im Leben einer Tänzerin – Tanz am Rhein 08/20
Das Sofa als Erkenntnisinstrument
Tanzfestival Into the Fields verwandelt Bonn in ein Bewegungslabor – Tanz am Rhein 04/20
„Als echter Künstler sollte man weinen können“
Aalto-Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh über die „Drei Schwestern“ – Tanz an der Ruhr 04/20
Postkoloniale Geister
„Ist das ein Mensch?“ von kainkollektiv im Ringlokschuppen Ruhr – Tanz an der Ruhr 03/20
Die Schule tanzend aus den Angeln heben
Silke Z produziert neue Choreografie in deutschen Schulen – Tanz am Rhein 03/20
Amerikanerin am Rhein
Emily Welther meistert auch schwierige Themen des Tanzes – Tanz am Rhein 02/20
Therapie des Hörsinns
„The Listeners“ von Alma Söderberg/Cullberg im Pact Zollverein – Tanz an der Ruhr 02/20
Dem Unberechenbaren die Türe öffnen
Barbara Fuchs‘ erfrischender Umgang mit dem Familiengebilde – Tanz am Rhein 01/20
Luftig ins Jubiläumsjahr
„L’après-midi d’un foehn“ auf Zollverein – Tanz an der Ruhr 01/20
Gott tanzt
Das Festival tanz.tausch in Köln – Tanz am Rhein 12/19
Das erregende Moment der Bewegung
Festival Tanzrauschen in Wuppertal – Tanz in NRW 11/19
Nicht reden, sondern machen!
Festival „Urbäng!“ bietet starkes Programm – Tanz am Rhein 10/19
Verausgabung als Ereignis
Die Ruhrtriennale geht beim Tanz bis zum Äußersten – Tanz in NRW 09/19
Kalte Leidenschaft
Sasha Waltz blickt illusionslos auf die Menschheit – Tanz am Rhein 08/19
Bitter und schön zugleich
Die Batsheva Dance Company aus Tel Aviv zu Gast in Köln – Tanz am Rhein 07/19
Ein zweiter Körper
„Uncanny Valley“ von Stefan Kaegi und Thomas Melle – Tanz an der Ruhr 07/19
Auge und Ohr profitieren
Philip Mancarella schreibt die etwas andere Musik für den Tanz – Tanz am Rhein 06/19
Beats und Rhymes
Das vierte International Summer Battle – Tanz an der Ruhr 06/19