Der Fleck
Deutschland, Schweiz 2024, Laufzeit: 90 Min., FSK 12
Regie: Willy Hans
Darsteller: Leo Konrad Kuhn, Alva Schäfer, Shadi Eck
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Betörend und inspiriert visualisierter Seelenspiegel
Und dann?
„Der Fleck“ von Willy Hans
Die Schulklasse sprintet bereits im Gleichschritt durch die Turnhalle, da macht Simon (Leo-Konrad Kuhn) im Flur kehrt und geht. Sein Weg führt den 17-Jährigen, flankiert von grauem Beton, zur S-Bahn-Haltestelle. Er raucht, hinter ihm eine Werbeplakat vom Optiker: “Besser sehen, besser leben.“ Der Zug bringt ihn nach Hause in die bürgerliche Vorstadtsiedlung. Dort folgt er kurzentschlossen seinem gleichaltrigen Nachbarn Enes zum Ausflug am Fluss mit Freunden. Die Jugendlichen dort chillen, spielen Karten und Backgammon, manche knutschen. Doch selbst Liebesbekenntnisse wirken seltsam kühl. Simon fremdelt. Alle fremdeln. Dann taucht Marie (Alva Schäfer) auf. Simon folgt einem Impuls und zieht mit ihr los, das Ufer entlang.
Das Regiedebut von Willy Hans ist so wunderschön wie verstörend. Da ist zum einen die Natur, das Wasser, die Stille. Wir hören Gleichnisse und lauschen sakralen Klängen von Daniel Purchell. Und da ist eine Kamera (Bildgestaltung: Paul Spengemann), die so assoziativ wie elegant die Landschaft abbildet. Die nah dran ist an den Figuren, sie still beobachtet, sich an sie schmiegt. Manchmal ist die Kamera subjektiven Blick, manchmal durchbricht sie die vierte Wand. Der Blick der Kamera gehört allen. Vor allem aber ist er dabei eines: nah.
Wir sehen junge Menschen am Fluss. Es ist heiß, die Jugendlichen wirken gelähmt von der Hitze. Doch es ist mehr als das: Mit Simon betreten wir eine Gemeinschaft in seltsamer Apathie. Alle wirken teilnahmslos, verlieren sich in nichtssagendem, unpointiertem Smalltalk. Junge Männer ärgern spielerisch einander. Junge Frauen suchen Blicke, zugleich bleiben die eigenen Blicke dabei abgekehrt. Dann stehen alle stumm und einander abgekehrt im flachen Wasser. Genussvoll? Einsam? Unglücklich? Zufrieden? Niemand hier ist greifbar.
Hans gelingt ein virtuoses Debüt. Er zeigt emotional entleerte Menschen, die, anders als die Befallenen in Philip Kaufmans „Die Körperfresser kommen“, zugleich unglücklich, verloren und sehnsüchtig wirken und damit jederzeit menschlich bleiben. Die assoziative Kameraarbeit und Montage erinnern ebenso wie die versteckten Sehnsüchte der Protagonist:innen an Peter Weirs „Picknick am Valentinstag“. Doch ist „Der Fleck“ weder Science Fiction noch Mystery-Horror, am nächsten kommt Hans dem traumwandlerischen, poetischen Blick auf Mensch und Natur eines Terrence Malick („The Tree of Life“, „Knight of Cups“). In der zweiten Filmhälfte dann bricht die Lähmung auf. Wenn zwei junge Seelen gehemmt die Annäherung suchen. Hoffnung keimt.
„Die Erlösung liegt letztlich in der Begegnung“, sagt Hans. Er zeichnet eine Jugend, die tief im Inneren freudlos und verloren wirkt. Der Regisseur bezieht sich auf ein Zitat aus Jean Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“: „Die Hölle, das sind die anderen.“ Weil der eigene Blick Anerkennung sucht und dabei zugleich anderen die Anerkennung verweigert. Das Zitat von 1944 passt trefflich in unsere Zeit, und Hans schmückt es beseelt aus.
„Der Fleck“ ist ein transzendentaler, hypnotischer Trip wechselnder Perspektiven und Ebenen. Aufregend, sinnlich, anregend. Mit einer Freiheit und einer Vision, die leider viel zu oft nur einem Debut vorbehalten bleiben. Und die Willy Hans formvollendet einlöst.
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