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Zeit des Verlangens

30. Januar 2024

Intro – Ganz schön empfindlich

Die Gesellschaft als gepolsterter Kinderspielplatz? Manche Menschen meinen, es müsse Schluss sein mit Aufrufen, in denen Gruppen ihre Benachteiligung beklagen und Gleichberechtigung fordern. Ja, solche Aufrufe können anstrengen. Sie weisen auch darauf hin, dass Angehörige von Minderheiten es endlich in Positionen geschafft haben, in denen sie sich Gehör verschaffen können – und dass die Gesellschaft ihnen zuhört. Dem gegenüber steht aber auch der Eindruck, dass nicht wenige Klagen übertrieben seien, es kein Recht auf Unversehrtheit gebe und beispielsweise die Kunst ein Ort bleiben müsse, an dem die Grenzen des Zumutbaren erprobt werden. Sicher ist, das Leben findet nicht auf Polstermatten statt. Unser Monatsthema GANZ SCHÖN EMPFINDLICH fragt daher, wie es um Verständnis und Rücksicht steht. 

Unsere Leitartikel plädieren für eine bedachte Wort- und Bildwahl in den Medien, dafür, die Bitten um Rücksicht auf die Gesundheit anderer Menschen nicht zu verharmlosen und dafür, materiell armen Menschen wirklich zu helfen, statt bloß freundlicher über sie zu reden.

In unseren Interviews spricht sich der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich dafür aus, Trigger-Warnungen als bereichernd für den Kunstgenuss zu verstehen, die Allergologin Petra Zieglmayer erklärt, wie es sich mit einer Histaminintoleranz gut leben lässt und die Sozialpsychologin Fiona Kalkstein diskutiert, wie sich gesellschaftlichen Aggressionen gegen Schwächere entgegenwirken lässt.

In unseren Lokalbeiträgen erfahren wir in Köln beim Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, wie Arbeitsbedingungen und Publikumserwartungen die künstlerische Arbeit prägen, bei der Schutzgemeinschaft Fluglärm Dortmund – Unna, wie sie sich gegen die Zumutungen des Flugbetriebs wehrt und beim Weissen Ring in Wuppertal, wie die Organisation Opfern von Kriminalität hilft.

Großdemos gegen Rechtsextremismus, namentlich gegen die AfD, prägen Deutschland derzeit. Eine unschätzbare Entwicklung, und man darf hoffen, dass die Zivilgesellschaft weiterhin so breit, sichtbar und entschieden gegen Demokratieverächter auftreten wird! Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Demonstrationen einen dringend nötigen Stimmungswechsel gegen die AfD bewirken können. Selbst dann allerdings hätte sich nichts verbessert an einer Politik, die das Vertrauen in die Demokratie erst nachhaltig erschüttert hat. Für so eine Verbesserung müssten die sogenannten Mitte-Parteien beispielsweise gesellschaftlich erarbeiteten Wohlstand gerecht verteilen, statt ihn vor allem für eine reiche Minderheit zu reservieren, Zuwanderung und Integration ermöglichen und erleichtern, statt sich daran als angebliches politisches Kernproblem zu klammern und die ökologische Wende konsequent und sozial gerecht angehen. Solch eine Politik ist nicht zu viel verlangt. Es ist allerhöchste Zeit dafür!

Dino Kosjak/Chefredaktion

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