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Steffen Weinert, der Regisseur des Kinofilms „Das Leben meiner Tochter“
studioline

„Kinder finden sich viel schneller mit dem Tod ab“

29. Mai 2019

Steffen Weinert über „Das Leben meiner Tochter“ – Gespräch zum Film 06/19

Seit seinem Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg arbeitet der 1975 geborene Steffen Weinert freiberuflich als Autor und Regisseur. Sein Kurzfilm „Der Aufreißer“ hat auf internationalen Filmfestivals über 20 Preise gewonnen. Nach seinem Debütfilm „Finn und der Weg zum Himmel“ hat Weinert nun seinen zweiten Langfilm inszeniert. „Das Leben meiner Tochter“ beschäftigt sich mit den dunklen Seiten von Organtransplantationen und startet am 6. Juni in den Kinos.

engels: Herr Weinert, war Ihnen das Thema Organhandel bzw. Organspenden ein persönliches Anliegen?

Steffen Weinert: Das Thema kam irgendwie auf mich zu. Ich hatte einen Artikel gelesen über ein Mädchen in genau diesem Alter, die genau wie die Figur im Film an eine Herzunterstützungsmaschine angeschlossen ist und auf ein Spenderherz wartet. Dann habe ich mir Gedanken dazu gemacht, wie es der Familie mit dieser Situation geht und was der Vater vielleicht machen könnte. Als ich dann dazu recherchiert habe, war ich ziemlich überrascht, dass es in Deutschland zum Thema Organspende so gut wie gar keine Filme gibt. Den Produzenten Alexander Funk und auch Stefanie Groß vom SWR konnte ich recht schnell für den Stoff begeistern. Die eigentliche Drehbuchentwicklung hat dann aber doch noch ziemlich lange gedauert.

Sie kommen ohne Umschweife direkt zur Sache, vermutlich, weil Sie aufgrund Ihrer Recherchen eine Menge zu erzählen und in der üblichen Spielfilmlänge unterzubringen hatten?

Ja, auf jeden Fall. Ich wollte mich nicht so lange aufhalten mit dem Thema, wie die Familie mit der Erkrankung des Kindes umgeht – dazu gibt es schon relativ viele Filme, die das ausleuchten. Deswegen gibt es schon sehr früh im Film einen Zeitsprung von einem Jahr. Ab diesem Zeitpunkt hat sich die Familie dann schon konsolidiert mit dem Problem und steht vor der Frage: „Was jetzt?“.

Ab diesem Zeitpunkt nehmen Vater und Mutter gegensätzliche Standpunkte bezüglich der Problematik ein. Glauben Sie, dass diese Ansichten in einer Ehe in gewissem Maße repräsentativ sind, oder war es eher ein Bauchgefühl, wie sie die beiden angelegt haben?

Das war schon eher ein Bauchgefühl, aber ich habe dann mit einem Kardiologen gesprochen, der mir bestätigte, dass dies auch seinen Beobachtungen entspreche. Frauen kümmern sich anscheinend eher um das Hier und Jetzt und darum, wie es dem Kind momentan geht, während Väter dann eher in einen Aktionismus ausbrechen. Das könnte natürlich auch genau andersrum sein, aber im Gros läuft es wohl so ab, wie es im Film beschrieben ist.

Interessant ist auch die Gelassenheit der kindlichen Patientin Jana angesichts ihres nahenden Todes. Ist das Ihrer Meinung nach auch ein typisches Verhalten?

Für ein anderes Projekt hatte ich schon relativ viele Erfahrungsberichte von Kindern gesichtet, die wissen, dass sie bald sterben müssen. Daher kommt die Beobachtung, dass sich Kinder viel schneller mit dem abfinden, was tatsächlich passieren wird und in welcher Situation sie sich wirklich befinden. Viel weniger gut kommen die Eltern mit dieser Situation zurecht, das habe ich bei meinen Recherchen festgestellt und dann in mein Drehbuch eingearbeitet.

Da könnte man fast schon mutmaßen, dass Kinder noch ein natürlicheres Verhältnis zum Tod haben, das man dann im Laufe der Sozialisation immer mehr verliert...

Ja, das könnte sein. Aber Kinder wissen vielleicht oft auch noch nicht, was sie verpassen könnten. Sie haben noch nicht den Weitblick über ein ganzes Leben. Als Erwachsener sieht man viel besser, was alles schon passiert ist und was noch passieren kann. Kinder sehen den Tag und die nächsten Tage, aber nicht so sehr die kommenden Jahre.

Maggie Valentina Salomon ist hier in ihrer ersten Rolle vor der Kamera ein wahrer Glücksgriff. War der Castingprozess für die Rolle sehr intensiv?

Ja, wir haben schon sehr lange gecastet. Wir hatten ungefähr 80 Kinder in der Vorauswahl, nachdem wir eine Ausschreibung gemacht und uns an etliche Kinderagenturen gewendet hatten. Wir haben dann immer weiter ausgedünnt und über mehrere Runden die Kandidatinnen auch mit den Elterndarstellern Christoph Bach und Alwara Höfels zusammengebracht. Das Alter acht Jahre ist relativ schwierig, wenn man mit neun- oder zehnjährigen Kindern gearbeitet hätte, hätte man einige weitere gute Optionen gehabt, aber Maggie war in ihrem Alter wirklich ein einmaliges, herausragendes Beispiel.

War dieses genaue Alter denn so wichtig, oder wären da auch noch ein oder zwei Jahre Toleranz möglich gewesen?

Für diese kindliche Naivität, die Jana mit dem Umgang mit dem Tod hat, finde ich das Alter schon wichtig. Etwas später, mit zehn Jahren, wird bei Kindern alles schon viel reflektierter.

Basiert dieses für Kinder überaus klobige Herzunterstützungssystem tatsächlich auf der Realität, und hat sich da seit den Dreharbeiten etwas getan?

Ja, beide Herzunterstützungssysteme sind real, auch das kleinere, das Jana später hat, wenn sie verreisen. Das kleinere war tatsächlich noch in der Entwicklung, und ich weiß nicht, ob es mittlerweile schon zugelassen wurde. Es dauert immer eine ganze Weile, bis medizinische Geräte letztendlich zugelassen sind. Für Erwachsene gibt es kleinere, mobile Geräte bereits seit längerem.

Glauben Sie, dass eine generelle Widerspruchslösung bei Organspenden, wie es sie beispielsweise in Österreich gibt, die kriminellen Tendenzen bezüglich Organhandel eindämmen könnte?

Ich denke schon. Denn durch eine Widerspruchslösung würden sich schlagartig wahrscheinlich mehr Leute Gedanken machen müssen, ob sie Organspender werden wollen oder nicht. Und dadurch hätte man dann automatisch mehr Organspenden zur Verfügung. Das würde auf jeden Fall dann auch den Organhandel einschränken. Ob die Widerspruchslösung der Weisheit letzter Schluss ist oder ob es da noch andere Ansätze geben könnte, wird ja gerade noch diskutiert, aber jede neue Regelung ist wahrscheinlich besser als die jetzige.

Mit Erik Madsen konnten Sie einen internationalen Star für eine kleine, aber wichtige Gastrolle gewinnen. Wie kam es dazu?

Wir wollten, nachdem wir den Dr. Bix bereits mit André Hennicke besetzt hatten, für den Organvermittler nicht auch noch einen deutschen Schauspieler. Ein bisschen internationalen Flair wollten wir dann doch haben (lacht). Erik hatte ich mehr oder weniger zufällig bei einer deutschen Agentur entdeckt, weil er auch schon deutsche Filme gedreht hatte und auch sehr gut Deutsch spricht. Von „Vikings“ und den anderen Sachen, die er noch gemacht hat, habe ich dann erst später erfahren.

Sie sind auch als Schriftsteller tätig und haben aus diesem Stoff auch einen Kurzroman entwickelt. Wann und wie entscheiden Sie, ob eine Idee eher für einen Roman oder für einen Film geeignet ist?

Bei „Das Leben meiner Tochter“ war das mein erster Versuch. Der Roman dazu ist noch während des Drehbuchschreibens entstanden und basiert auf einer frühen Drehbuchfassung, nicht auf der Endfassung, die ein bisschen anders ist. Da habe ich gemerkt, dass es wahnsinnig schwierig ist, von einem Drehbuch zu einem Roman zu kommen. In einem Drehbuch sind die Dinge schon relativ fest kondensiert. Daraus dann wieder Prosa zu entwickeln, ist mir sehr schwer gefallen. Bei den nächsten beiden Projekten habe ich es dann anders herum gemacht und zunächst den Roman geschrieben. Die Geschichte dann für ein Drehbuch zu verdichten ist mir leichter gefallen, als eine Geschichte für einen Roman noch einmal aufzublasen und größer zu machen.

Eines dieser Projekte ist Ihr Roman „Die Netten schlafen allein“, den Sie nun selbst verfilmen wollen, richtig?

Ja, das Drehbuch ist so gut wie fertig, und Kostja Ullmann wird in der Verfilmung die Hauptrolle spielen. Im Moment kümmern wir uns um das Kindercasting und die Finanzierung, und wenn alles wie geplant läuft, dann wird der Film in der ersten Hälfte des nächsten Jahres gedreht.

Interview: Frank Brenner

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