
Die Siedlung Stahlhausen, früher Heimat der Beschäftigten des Jahrhundertvereins, mittlerweile im Besitz der Vonovia, hat in den letzten Jahren weder bau- noch sozialpolitisch besonders große Zuwendung genossen. Die wenigen Miethäuser in der Umgebung, die sich im Besitz der Stadt befinden, wurden ebenfalls vernachlässigt und sind trotz Wohnraummangels nur darum noch nicht abgerissen worden, weil sich der Mieter Klaus S. seit Jahren gegen eine Räumung wehrt. Zur Unterstützung kam Ende 2023 eine Gruppe zusammen, die sich entschloss, den Missständen im Viertel auf eine neue Weise zu begegnen: Mit einer Stadtteilgewerkschaft, in der Stahlhausener:innen diskutieren, welche Probleme sie teilen und wie man sie lösen kann, um dann gemeinsam Veränderung zu erkämpfen. Wenig später, im Frühling 2024, startete das Projekt Solidarisch in Stahlhausen (SiS).
Probleme erkennen, Lösungen suchen
Den Grundgedanken fasst Jojo, einer derjenigen, der sich bei SiS engagiert, so zusammen: „Wenn einer von uns Probleme hat, geht uns das alle etwas an.“ Jojo erfuhr kurz nach der Gründung von der Stadtteilgewerkschaft und war sofort begeistert. „Es kann doch nicht sein, dass wir uns ständig die Köpfe darüber einschlagen, was der richtige Lösungsansatz ist, ohne vorher geklärt zu haben, um welches Problem es überhaupt geht.“ Um das herauszufinden, Kontakt zu mehr Nachbar:innen aufzunehmen und sie von der Idee zu überzeugen, bietet SiS seit einem Jahr eine regelmäßige solidarische Beratung an. Wer Probleme mit Behörden oder Vermieter:innen hat, bekommt kostenlose und niedrigschwellige Unterstützung. Seit Anfang des Jahres gibt es auch ein regelmäßiges gemeinsames Abendessen. Nach und nach soll die Verantwortung für die Angebote auf immer mehr Schultern verteilt werden, um ein Gemeinschaftsgefühl zu fördern.
Rätsel Jobcenter
Von der Mietpolitik haben die Initiator:innen mittlerweile den Fokus auf das Jobcenter verschoben. „Es ist wirklich absurd, wie viel man da wissen muss, um Geld zu bekommen“, sagt Jojo, „und die Richtlinien sind nicht mal wirklich bekannt. Die kann man nicht einfach im Internet nachgucken“. Das Bochumer Jobcenter verfüge noch nicht einmal über einen Eingangsstempel, der den Klient:innen zumindest die Abgabe ihrer Dokumente bestätigen würde. „Wenn du nicht für jeden Zettel einen Termin machen willst, musst du ihn einfach vorne in den Briefkasten werfen und darauf hoffen, dass er nicht verloren geht.“
Aller Anfang ...
Jojos Bilanz über den bisherigen Erfolg des Projekts ist gemischt: „Die Angebote kommen gut an, vor allem die Beratung ist beliebt. Zugänglich, kein Anwaltsdeutsch, und du musst dich nicht ständig für deine Lebensrealität kritisieren lassen.“ Aber: „Wir haben im Oktober einen Info-Abend zur Situation im Jobcenter organisiert, da ist niemand gekommen. Natürlich gibt es Schamgefühle, aber vor allem fehlt die Hoffnung, dass tatsächlich etwas besser werden könnte. Wir hören oft Sätze wie: Schöne Idee, aber verändern wird sich eh nichts.“ Von den Startschwierigkeiten lassen sich die Aktiven von SiS aber nicht beirren. „Wir denken gerade neu darüber nach, wie wir auf die Leute zugehen. Vielleicht probieren wir es nochmal mit anderen Angeboten oder einem Infostand.“ Hoffnung macht Jojo, dass das Konzept in anderen Städten wie Bremen und Köln mittlerweile gut ankommt. Das Beratungsangebot in Köln sei mittlerweile immerhin so beliebt, dass die Gewerkschaft am Rhein eine längerfristige Beratung nur noch für diejenigen anbiete, die auch Mitglieder werden.
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Kli Kla Klacks
Intro – Genug für alle
Die Mär vom Kostenhammer
Teil 1: Leitartikel – Das Rentensystem wackelt, weil sich ganze Gruppen der solidarischen Vorsorge entziehen
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Teil 2: Leitartikel – Die Kluft zwischen Arm und Reich ließe sich leicht verringern – wenn die Politik wollte
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Teil 2: Interview – Finanzwende-Referent Lukas Ott über Erbschaftssteuer und Vermögensungleichheit
Gegen die Vermüllung der Stadt
Teil 2: Lokale Initiativen – Umweltschutz-Initiative drängt auf Umsetzung der Einweg-Verpackungssteuer
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Teil 3: Leitartikel – Aufruhr von oben im Sozialstaat
„Eine neue Ungleichheitsachse“
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Wandel im niederländischen Sozialsystem – Europa-Vorbild: Niederlande
Armutszeugnis im Reichtum …
… und alternative Fakten im Wirtschaftssystem – Glosse
Platz für mehrere Wirklichkeiten
Teil 1: Lokale Initiativen – Kamera und Konflikt: Friedensarbeit im Medienprojekt Wuppertal
Politische Körper
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Kölner Friedensbildungswerk setzt auf Ganzheitlichkeit
Widerstand ohne Waffen
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen und ihr Landesverband NRW
Querschnitt der Gesellschaft
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Kulturbüro Wuppertal als Partner der freien Szene
Kultur am Kipppunkt
Teil 2: Lokale Initiativen – Bruno Wenn vom Kölner Kulturrat über die Lage der städtischen Kulturhäuser
Zwischen Bar und Bühne
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Neuland als kulturelles Experiment im Bochumer Westend
Pakt mit dem Fakt
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Zentrum für Erzählforschung an der Uni Wuppertal
Aus den Regionen
Teil 2: Lokale Initiativen – Das WDR-Landesstudio Köln
Von lokal bis viral
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Landesanstalt für Medien NRW fördert Medienvielfalt
Nicht mit uns!
Teil 1: Lokale Initiativen – Das zivilgesellschaftliche Netzwerk Wuppertal stellt sich quer
Zwischen Krawall und Karneval
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Bereich Gegenwart im Kölner NS-Dok klärt über Rechtsextremismus auf
Antifaschismus für alle
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Bochumer Antifa-Treff