
In Diskussionen über Populismus werden oft die gleichen paar Mediengenres beispielhaft angeführt: Wahlkampfreden, Bundestagsdebatten, Talkshow-Auftritte. Ein Format taucht jedoch seltener auf, obwohl es uns ständig begegnet, ob auf unserer Facebook-Startseite, in der Instagram-Story der besten Freundin oder im Familien-Gruppenchat: das Meme. Dabei wissen wir längst, wie wichtig kurze, mehrdeutige und dezentral verbreitete Botschaften für die Politik der Gegenwart sind. Expert:innen wie der Medienwissenschaftler Simon Strick sind beispielsweise überzeugt, dass sie massiven Einfluss auf den Erfolg von Donald Trumps erster Präsidentschaftskandidatur hatten.
Memetische Kriegsführung
Der Einsatz von Memes, um politische Diskurse zu verschieben, wird mittlerweile unter dem Begriff „memetische Kriegsführung“ verhandelt. Aufklärung dazu fand lange auf dem Twitter-Account @Ap_Saegge statt und ist mittlerweile auf Bluesky unter dem gleichen Namen zu finden. Die den Account betreibende Person, hier Saegge genannt, dokumentiert die memetischen Kriegsbemühungen des rechten Spektrums von Ulf Poschardt bis Björn Höcke und erklärt, wie diese Form der Propaganda wirkt. Neben dieser Arbeit hält Saegge Vorträge zum Thema, unter anderem 2024 auf der re:publica und dem Chaos Computer Congress.
Pandemie als Auslöser
Angefangen hat Saegge mit anderen Themen. „2019 habe ich mich angesichts der „Fridays for Future“-Proteste erstmals zum Klima eingelesen und dann Infos getweetet, die gut ankamen. Als die Pandemie losging, habe ich beschlossen, massentaugliche, korrekte Information über Covid zu teilen“. Der Backlash gegen die Klimaaktivisten Letzte Generation habe schließlich zur Auseinandersetzung mit der memetischen Kriegsführung geführt. „Der Begriff Meme umfasst viel mehr als Internetbilder. Auch „Klimakleber“ ist als Meme zu verstehen – ein kulturell aufgeladenes Schlagwort, das bestimmte Assoziationen weckt. Und an der Letzten Generation war auch sehr gut zu sehen, wie bestimmte Gruppen im Netz die Stimmungsmache befeuert haben. Facebook-Gruppen, Reddit-Foren, all das“. Kritik übt Saegge an Journalist:innen, die sich von dieser Stimmungsmache treiben lassen. „Begriffe wie „Klimakleber“ werden oft unreflektiert übernommen und normalisiert. Niemand liest Nius, aber ihre erfundenen Geschichten stehen zwei Tage später in allen großen Zeitungen.“
Engagement in Bochum
Daneben engagiert sich Saegge in der Bochumer Lokalpolitik, war etwa 2022 an der Organisation von Demonstrationen der Bewegung #ichbinarmutsbetroffen beteiligt und hielt in diesem Rahmen auch eine Rede beim Klimastreik, die die Themen Armut und Klimagerechtigkeit miteinander verknüpfte. Auch im digitalen Raum kommentiert Saegge den politischen Alltag in Bochum, zuletzt im Rahmen der Kommunalwahlen im Herbst, als SPD und Grüne beschlossen, für ihren gemeinsamen Oberbürgermeisterkandidaten Jörg Lukat (SPD) überraschend auf blauen Plakaten zu werben.
Zwei Seiten des Populismus
Zur Populismusdebatte sagt Saegge: „Ich würde mir mehr Anerkennung von Realität wünschen. Zum einen ist „Populist“ oft ein Euphemismus für „Faschist“. Zum anderen ist Populismus nichts, was man per se verteufeln muss, sondern immer im öffentlichen Diskurs vorhanden ist. Wir bräuchten eigentlich dringend mehr pro-demokratische Propaganda“. In Zukunft plant Saegge, die Aufklärungsarbeit auf Formate wie YouTube-Videos und einen Podcast auszuweiten. „Es gibt diese Idee, dass sich Lügen leichter verbreiten, aber tatsächlich sind die Leute, die lügen, einfach nur besser im Messaging. Sie müssen das sein, weil sie keine Inhalte anzubieten haben. Aber Inhalt alleine reicht nicht, man muss auch ein bisschen Ahnung vom Handwerk haben und passende Formen wählen“.
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