Es gibt den Witz vom Banker, der mit einem Asylbewerber und einem „Bild“-Leser an einem Tisch sitzt. Letzterem nimmt er neunzehn seiner zwanzig Kekse ab und warnt: „Pass auf, der Asylant will deinen Keks.“ Als diese Parabel 2017 im sächsischen Freital auf Plakaten auftauchte, war die Botschaft klar: Euer Hass trifft die Falschen. Kurz zuvor hatten wütende Einwohner einen Bus mit Geflüchteten attackiert, und dem xenophoben Exzess setzte die Künstlergruppe „Dies Irae“ so entgegen, das wahre Problem sei nicht bei Migranten zu suchen, sondern im Wirtschaftssystem.
Linke Kapitalismuskritik mit ihrem internationalen Blick wäre prädestiniert, die Globalisierung gebührend einzuordnen. Analysen also, die nicht auf Bedrohung durch Fremdes abzielen, sondern auf weltweites Ungleichgewicht – und die Einsicht: Es gibt eine einseitige Ausrichtung an Interessen des globalen Nordens auf Kosten des Südens.
Ein Mittel gegen rechts wäre logisch, diese vorhandene Kompetenz mehr ins Bewusstsein zu bringen und damit die Konkurrenz auszustechen: Links, nicht Rechts kann gerecht. Wie auch offensives Abgrenzen in Feldern, die einen starken Stand beim Gegner haben: „Rechte Wachstumskritik ist nicht unser Degrowth!“ insistiert dieser Tage ein Berliner Podium. Denn die Degrowth-Lehre zweifelt am kapitalistischen Dogma des Wirtschaftswachstums, aber rechte Ideologen tun das ja auch: „Rückkehr zur Einfachheit aus den Krisen der Moderne“ – mit solchen Backlash-Träumen droht Verwechslungsgefahr, und Trennung von progressiver Seite tut Not.
Manchmal sind globale Einordnungen besonders hilfreich. Das globalisierungskritische Filmfestival „GlobalE“ läuft zwar in Leipzig, macht sich aber dort gerade im Umland sichtbar – sich und damit die Filme und Perspektiven. Mike Nagler, Mitorganisator und Attac-Aktiver, gegenüber der Zeitung Junge Welt: „Wir zeigen unsere Filme gezielt an Orten wie dem Plattenbaugebiet in Paunsdorf, an denen Themen wie ‚Landgrabbing‘ in der Elfenbeinküste vielleicht nicht ganz oben auf der Liste stehen.“ Man mag ergänzen: Landnahme und anderes sind auch Fluchtursachen. Und den Flüchtlingsstrom anders zu kommentieren als national, mag (längst nicht nur) im Leipziger Umland geboten sein. Organisatorisch gab es im Sommer gleich zwei Vorstöße für linkes Kontra. Im Juni war es die „Progressive Soziale Plattform“ um die SPD-Parlamentarier Cansel Kiziltepe und Marco Bülow. Anfang August dann stellte sich „Aufstehen“ vor, die Sammlungsbewegung um Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, die ihre Gründung für den 4. September ansetzt. Ein Motiv hüben wie drüben: Probleme der Zeit nicht den Rechten zu überlassen. Auffällig freilich, dass es zwei Einzelprojekte braucht, obwohl im linken Grundsatz Einigkeit besteht. Bekannt ist Wagenknechts strittige Haltung in der Flüchtlingsfrage, die ihr Vorwürfe bis hin zum Rassismus einbrachte.
Liegt in solchen Zuschreibungen am Ende ein Grund dafür, dass Links sich kaum anzubieten versteht als bessere Alternative? Weniger –ismen wären vielleicht ein Risiko, das sich einzugehen lohnt. Vor allem gilt das beim vielgescholtenen „Populismus“: Es bleibt ja schwierig bis schräg, dem Volk zu erklären, es solle bitte nicht populär, also volkstümlich wählen. Die Begründung dann frech zu verweigern, hat sich erkennbar als riskant erwiesen: Wer das Axiom nicht schlucken mochte, landete schnell bei der AfD.
Als populistisch gelten auch Massenbewegungen wie die spanische Podemos. Und Misstrauen gegen traditionelle Strukturen bekommt auch fachliche Anerkennung: Der Wuppertaler Politologe Hans J. Lietzmann sieht grundsätzlich viel Potenzial in Bewegungen mit Antrieb von der Straße. Nach der letzten NRW-Landtagswahl hatte der Professor der Bergischen Uni, Experte für direkte Demokratie, einen fehlenden Bezug vieler Bürger zu den Parteien ausgemacht und vorausgesagt: Solche Formen könnten künftig grundsätzlich eine wichtige Rolle in Demokratien spielen.
Wie populistisch ein linker Ansatz ist, wie rassistisch man diese oder jene VertreterIn findet: Womöglich sollte man sich an derlei Etiketten nicht verzetteln. Als im Frühjahr der Chef der Essener Tafel den Ansturm schroff via Pass bewältigen wollte, drohten die Rassismusvorwürfe fast das Grundsatzproblem zu kapern; dabei hat doch der traurige Befund – so viel Hunger in einem reichen Land – eine sehr ähnliche Pointe wie der Witz vom Banker.
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