Der Wischer von Jürgen Klopp nach dem Schlusspfiff war natürlich rein anerkennend gemeint, und Mike Hanke grinste dementsprechend, statt zu flennen. Der Torschütze zum 1:1-Ausgleich der Gladbacher gegen Borussia Dortmund hatte für ein letztlich gerechtes Ergebnis in einem echten Spitzenspiel gesorgt. Wer bislang nicht hatte glauben wollen, dass die Mannschaft von Lucien Favre nicht zufällig so weit oben in der Tabelle steht, dürfte damit wohl eines Besseren belehrt sein.
Das beste Argument hierfür lieferte der Spielverlauf. Nachdem die Gladbacher auch ohne ihren Star Marco Reus in der ersten Halbzeit den wie immer laufstarken Dortmundern mindestens auf Augenhöhe begegnet waren, folgte mit dem Führungstor der Gäste durch Lewandowski der Tiefschlag: kurz vor der Halbzeit, zu einem dieser berüchtigten günstigen bzw. ungünstigen Zeitpunkte, je nach Standpunkt.
Wer jetzt geglaubt hatte, der VfL sei damit und zumal ohne Reus auf der Verliererstraße, die Niederlage beschlossene Sache, sah sich getäuscht. Zwar dauerte es bis weit in die zweite Halbzeit, ehe sich Gladbach soweit sortiert hatte, um wieder Druck aufzubauen. Doch das Ausgleichstor demonstrierte eindrucksvoll, welcher Spielgeist sich der Gladbacher inzwischen bemächtigt hat, auch ohne Reus.
Gut drei Stunden nach den Gladbachern zeigten die Kölner, wie es spiegelverkehrt mit dem Spitzenspieler geht. Wie so oft war es Lukas Podolski mit einer Ein-Mann-Show, der den Rheinländern einen glücklichen Punkt bescherte: erst per Strafstoß und kurz vor Ende der Partie mit dem Ausgleich zum 2:2. Eigentlich ging es in dieser Phase des Spiels nur noch um die Frage, wann die Stuttgarter endlich das entscheidende dritte Tor schießen würden.
Ohne Poldi – und Michael Rensing, der schon in der ersten Hälfte gegen einen Kopfball von Cacau die Vorentscheidung verhinderte – wäre der FC wohl einigermaßen untergegangen. Und das gegen ein Stuttgarter Team, das gegenüber den Vorjahren, als man gar keine Lust auf Hinrunden verspürte, sich in dieser Saison sehr ordentlich schlägt, aber beileibe keine Übermannschaft darstellt.
Im Gegensatz zu den Gladbachern nagen die Kölner weiterhin an dem Problem, zu wenig Substanz auf den Platz zu bringen. Zwar hat Trainer Stale Solbakken der Mannschaft deutlich mehr Struktur verschafft, aber ohne Podolskis Klasse wären die Kölner wohl schon mittendrin im Abstiegsstrudel. Oder andersrum: Die Kölner sind nur Podolski, während es bei den Gladbachern auch ohne ihre Spitzenkraft Reus läuft.
Für den FC ist daher Pflicht, sich die Dienste seines Lust-und-Laune-Spielers möglichst bald über die Saison hinaus zu sichern. Zwar ist kaum ein Ort außerhalb Kölns eindeutig als Poldi-geeignet zu identifizieren. Aber die Zeit seit seinem Wechsel zurück aus München an den Rhein darf man getrost als verloren einstufen: für den Verein, der mit seinem Star mittelfristig die internationalen Ränge anpeilen wollte, wie für den Spieler, der sich in seinem aktuellen Umfeld nicht weiterentwickeln wird. Dass sein bayrisches Gastspiel, freilich aus anderen Gründen, ebenfalls verlorene Zeit war, macht die Tragik in Podolskis Karriere umso deutlicher.
Dazu passt, dass der FC just in dem Moment, wo mit Manager Finke und Trainer Solbakken kompetente Leute am Ruder sind (die modernen Systemfußball nach dem Motto „Der Star ist die Mannschaft“ spielen lassen wollen), die Mannschaft weiterhin von einem Star abhängig ist. Und so zum x-ten Mal das Stück „Die launische Diva vom Rhein“ geben darf.
Aktuell verfolgen die beiden Traditionsklubs, deren Fans so gern Rivalitäten längst vergangener Jahrzehnte heraufbeschwören, entgegengesetzte Fahrtrichtungen: Die Borussia hat sich in der Spitzengruppe festgesetzt, während der 1.FC Köln auch in dieser Saison vornehmlich mit Abstiegsvermeidung beschäftigt sein dürfte. Und während den Gladbachern zuzutrauen ist, auch ohne Marco Reus dort oben weiterhin mitmischen zu können, möchte man sich als FC-Fan lieber nicht ausmalen, welche Folgen ein längerer Ausfall Podolskis für die Kölner haben könnte.
Auf der anderen Seite: Was passiert, wenn Lukas Podolski, der es nach eigenem Bekunden inzwischen für „ganz normal“ hält, seinen Verein immer wieder vor Niederlagen zu bewahren, auch weiterhin zuverlässig Doppelpacks beisteuert? Dann sieht man sich in Köln wieder einmal „auf einem guten Weg“.
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