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Auf der Suche nach Inspiration: Tom Schilling in „Werk ohne Autor“.
Foto: Presse

„Vieles kommt durch seine Kunst zum Ausdruck“

27. September 2018

Tom Schilling über „Werk ohne Autor“ – Roter Teppich 10/18

Spätestens seit seinen Rollen in „Oh Boy“ und dem ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ ist Tom Schilling Kino- und Fernsehzuschauern bekannt. Nachdem er zuletzt in „Who Am I – Kein System ist sicher“, „Die Frau in Gold“ und „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!“ zu sehen war, hat er nun die Hauptrolle in Florian Henckel von Donnersmarcks neuem Film „Werk ohne Autor“ übernommen, der ab dem 3. Oktober in den Kinos zu sehen ist.

engels: Herr Schilling, Florian Henckel von Donnersmarck ist nicht umsonst im Ausland sehr gefragt. Er entwirft wahrlich großes, episches Kino. War das auch bei den Dreharbeiten zu „Werk ohne Autor“ schon ersichtlich?

Tom Schilling: Ja, das war tatsächlich schon in der Vorbereitung zu spüren. Florian ist in der Hinsicht jemand der „alten Schule“. Er ist der Meinung, dass man den Kinozuschauern für ihr Geld auch etwas bieten muss. Hypernaturalismus ist nicht sein Ding, stattdessen erzählt er gerne Geschichten, die „bigger than life“ sind, fast märchenhaft. Er hat große Freude daran, etwas ästhetisch auszuerzählen, sich um jedes Detail Gedanken zu machen und dabei dem Perfektionismus nach seiner Ästhetik nachzugehen. Es war schon etwas anders, als einen normalen deutschen Film zu drehen. Allein für die Lichttechnik standen uns zehn Lastwagen zur Verfügung, das sind eher amerikanische Verhältnisse. Wir hatten mit Caleb Deschanel einen fünffach Oscar-nominierten Kameramann, der ganz fantastische Filme gemacht hat, wie z.B. „Die Passion Christi“ von Mel Gibson. Bei den Maskenbildnern waren Profis dabei, die auch an „Apocalypto“ mitgearbeitet hatten, da saß absolut jedes Haar an der richtigen Stelle.

Zwischen seinen einzelnen Filmen vergeht immer viel Zeit, wahrscheinlich, weil er sich so akribisch auf sie vorbereitet. Wann sind Sie denn zu diesem Projekt hinzugestoßen?

Wir haben den Film im Sommer 2016 gedreht, und hinzugestoßen bin ich im Winter 2015. Das heißt, ich habe mich ungefähr ein halbes Jahr darauf vorbereitet. Weil ich wusste, wie akribisch Florian ist, habe ich auch einen anderen Film abgesagt, der ansonsten mit der Vorbereitung kollidiert wäre. Ich hatte da schon reichlich zu tun im Vorfeld. Die Vorbereitung dauert bei ihm immer sehr lange, weil es für ihn auch sehr kräftezehrend ist, ein großer Kampf. Er muss dabei stets sicher sein, dass das neue Thema und der neue Stoff ihn auch so lange fesseln können. Das eigentliche Drehbuch schreibt er dann soviel ich weiß immer sehr schnell.

Hatten Sie den Eindruck, dass es für Donnersmarck gewisse Schlüsselszenen im Film gab, bei denen er gesteigerten Wert auf die richtige Umsetzung legte?

Er war sehr akribisch bei den zahlreichen Liebesszenen, die es im Film gibt. Davon war er fast schon besessen. Ich denke, das hat damit zu tun, dass seine beiden Figuren im Film eine Art Insel benötigen, weil ihnen stets von allen Seiten so zugesetzt wird. Eine Art „Insel der Liebe“ – das klingt vielleicht ein bisschen kitschig, aber, wenn man den Film sieht, wird man das verstehen. Diese Szenen im geschützten Raum, den die beiden im Haus des schwierigen Schwiegervaters haben, wollte er ganz bewusst sehr innig, genau und erotisch erzählen.

Waren denn diese zahlreichen Nackt- und Erotikszenen im Film auch für Sie eine besondere Herausforderung?

Eigentlich nicht, wobei das für mich doch relativ neu war. Wir haben diese Liebesszenen auch ein oder zwei Tage lang richtig probiert. Das ist schon ein wenig seltsam, aber man muss sich da fallen lassen. Letzten Endes stellt man sich in den Dienst der Geschichte und begibt sich in die Hände des Regisseurs. Das ist sein Film von A bis Z, und ich versuche, es für ihn so stimmig und so passend wie möglich zu gestalten. Ich habe da keine Berührungsängste.

Konnten Sie sich mit Ihrer Figur des Kurt Barnert gut identifizieren, einem doch recht spleenigen jungen Mann, der immer wieder aus der Reihe tanzt?

Ich finde gar nicht so sehr, dass er immer wieder aus der Reihe tanzt. Identifizieren kann ich mich mit allen Figuren, die ich spiele. Denn ohne ein gewisses Identifikationspotenzial wüsste ich gar nicht, wo ich bei einer Rolle anfangen sollte. Ich muss die Figur, die ich spiele, schon sehr mögen und auch nachvollziehen können. Kurt Barnert fand ich eher schwer und undankbar zu spielen, weil er überaus passiv und wortkarg ist. Vieles, was in ihm steckt, kommt erst im Verlauf des Films durch seine Kunst zum Ausdruck. Er schneidet sich ja kein Ohr ab oder spritzt sich Heroin, um toll malen zu können, er ist weder ein van Gogh noch ein Basquiat.

Sie selbst wollten ursprünglich auch Maler werden. Mussten Sie sich im Vorfeld über die realen Vorbilder des Films, u.a. aus der Düsseldorfer Kunstszene, informieren, oder war ihnen darüber das meiste schon geläufig?

Nein, dafür habe ich schon sehr viel recherchiert. Ich habe mich mit Gerhard Richter befasst, dessen Leben als eine von verschiedenen Inspirationsquellen für den Film diente, und mit befreundeten Künstlern, die an der Kunsthochschule Hamburg unterrichten, bin dort in Vorlesungen gegangen und habe zugehört, wie die jungen Studenten über ihre Arbeit sprechen. Einige Tage habe ich auch im Atelier des Malers verbracht, der die Gemälde für unseren Film angefertigt hat – der Düsseldorfer Andreas Schön. Das war ein wichtiger Teil meiner Vorbereitung, zumal ich dort auch malen konnte, zum ersten Mal in meinem Leben mit Ölfarbe. Wie Sie schon richtig gesagt haben, habe ich in meiner Jugend sehr viel gemalt, bin in Volkshochschulkurse gegangen, habe viel mit Bleistift und Kreide gezeichnet, später dann auch gemalt und viele Graffitis gefertigt. Ein gewisses ästhetisches Grundempfinden hatte ich schon. Insofern habe ich viel der Vorbereitung zu diesem Film schon vor zwanzig Jahren gemacht, weil ich das alles ein Stückweit in mir trage. Die Kunst, die wir im Film sehen, hat sehr viel mit Akribie zu tun. Fotos abzumalen ist nicht die große Geste, das ist kein Jackson Pollock, aber es hat viel mit einer großen Genauigkeit zu tun, mit der ich durchaus was anfangen kann.

Demnächst werden Sie in der Titelrolle des jungen „Brecht“ zu sehen sein, einem anderen Autor, der aber in seinen Werken immer erkenntlich blieb. Können Sie uns dazu schon etwas verraten?

Das ist ein Fernsehzweiteiler von Heinrich Breloer, der eigentlich so etwas wie der Erfinder des Dokudramas ist. Er hat so tolle Filme gemacht wie „Das Todesspiel“ über die RAF oder „Die Manns“ über Thomas Mann und dessen Familie. Jetzt hat er sich in seinem neuesten Fernsehprojekt Brecht gewidmet, da wird es im ersten Teil um die Jahre 1918 bis zu Brechts Flucht im Jahr 1933 gehen, die Brecht-Werdung sozusagen, in der ich die Rolle spiele. Und der zweite Teil beschäftigt sich mit Brecht im Exil und mit seiner Rückkehr nach Deutschland, wo er dann in Ost-Deutschland das Berliner Ensemble gründete. Da wird Brecht dann von dem Super-Schauspieler Burghart Klaußner gespielt, der wirklich eins zu eins auf Brecht passt.

Sicherlich sehr spannend für Sie, da Sie auch literarisch sehr interessiert zu sein scheinen, weil Sie immer wieder Hörbücher einsprechen und an Hörspielen mitwirken...

Ich komme leider sehr selten zum Lesen, aber ich bin schon ein großer Fan vom geschriebenen Wort. Das ist für mich noch interessanter als die Malerei und die Bildende Kunst. Ich bin ein großer Fan der großen Autoren, ja, ich bin auf jeden Fall ein sehr interessierter Leser.

Interview: Frank Brenner

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