Alle Klischees zur künstlerischen Tradition dieses Landes werden erfüllt und zugleich unterlaufen. Das Hagener Osthaus Museum zeigt eine Privatsammlung zur Kunst in Russland, mit deutlichem Schwerpunkt auf der Malerei. Die Künstler repräsentieren – den Erfahrungen des Sammlers Joseph Kiblitsky entsprechend – die Jahre vor und nach dem Zerfall der Sowjetunion. Kennzeichnend für die Sammlung ist der Umgang mit den Referenzen und Bezügen der eigenen Kultur, die immerhin Orientierung ist und bisweilen Maß bleibt, und mit dem westlichen System, in dem man sich nun also zurechtfindet. Eine weitere Auffälligkeit der Ausstellung ist die Konzentration auf relativ wenige Künstlerpersönlichkeiten, die dafür mit ganzen Werkreihen vertreten sind. Und indem Kibiltzsky seine Sammlungsaktivitäten bis heute fortführt, sind neben Werken der 1980er Jahre auch Arbeiten der letzten Jahre zu sehen.
Die Ausstellung beginnt programmatisch mit doppeldeutigen Zitaten der plakativen Kunst des sozialistischen Realismus, der die Arbeiterschichten erreichen wollte – nur mit dem Unterschied, dass das starkfarbige Schematische jetzt eine Strategie der Irritation ist. Überhaupt der Realismus: Wie kann man heute noch realistisch malen, lautet eine der Fragestellungen dieser Ausstellung. Die gegenständliche Malerei überwiegt deutlich. In der zentralen Halle des Neubaus geht es um die Stofflichkeit der Oberfläche. Dies betrifft vor allem die Gemälde von Alexander Timofeev, dessen Bildtitel „Weggewaschen“ (2011) geradezu programmatisch zu verstehen ist, und von dem in Deutschland lebenden George Pusenkoff, der seine gewaltigen Amazonen wie vergrößerte Zeitungsfotos aufrastert und damit einerseits abstrahiert, andererseits mit der Sinnlichkeit des Vorstellungsvermögens auflädt. Die Bilder beider Künstler preisen den Realismus an und sie entziehen ihm im nächsten Moment wieder den Boden.
Dass der Hagener Museumsdirektor Tayfun Belgin damit seine Reihe zur aktuellen realistischen Malerei (in der er etwa Pavel Feinstein, Volker Stelzmann und Andrés García Ibánez gezeigt hat) auf hohem Niveau fortsetzt, gehört ebenso zur kuratorischen Leistung wie die Kontinuität in der Vorstellung von Privatsammlungen internationaler Kunst. Und so können wir nun erneut Werke des vor zwei Jahren verstorbenen Vladimir Nemuchin sehen, der hier bereits 2014 in der Sammlung de Leeuwenhoeve vertreten war und zu den in der Sowjetunion unterdrückten regierungskritischen Künstlern gehörte. In der Sammlung Kiblitzsky lässt er sich dem kleinen Teil abstrakter Kunst zurechnen. Nemuchins Skulptur aus farbigen stereometrischen Formen ist dem konstruktiven Kollegen Eduard Steinberg gewidmet. Nemuchin, Viktor Povov, Sergey Dozhd und Leonid Borisov gehen im Rahmen ihrer Formsprachen relativ spielerisch und unverkrampft mit dem großen Erbe des sowjetischen Konstruktivismus um. Origineller ist in der Ausstellung freilich, wie einzelne Künstler typische Vorstellungen der osteuropäischen Kunst mit denen des westlichen Kapitalismus verschmelzen. Von Leonid Sokov stammt eine Bronzeskulptur, bei der sich ein behäbiges Lenin-Monument und ein zielstrebig Schreitender à la Giacometti begegnen. Nicht ganz so vordergründig und umso mehr in der Ausstellung herausragend sind Valery Bychkovs konzeptuelle Malereien auf hauchfeinen Leinwänden hinter Glas. Sie transformieren sehr unterschiedliche Helden des Sozialismus auf riesige Geldscheine, als Motive eines „New World Money“, das mit seinen Wasserzeichen aber kaum fragiler sein kann. Die meisten der Künstlernamen hört man wahrscheinlich zum ersten Mal, wird bei der Vielzahl an Arbeiten aber umfassend über die jeweiligen Konzepte informiert. Auch sind die großen, hierzulande bekannten Namen, etwa Ilya Kabakov, Grischa Bruskin und Mikhail Shvartsman vertreten. Aber nicht diese machen die eigentliche Qualität der Sammlung aus, diese beruht vielmehr auf dem Vertrauen in die Aussagefähigkeit und Unbeirrbarkeit von Kunst, das sich wie ein roter Faden durch die unterschiedlichen Positionen zieht. Zu sehen ist eine gute Sammlung, die sehr gut präsentiert ist.
Russische Kunst heute | bis 25.2. | Osthaus Museum Hagen | www.osthausmuseum.de
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