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Foto (Ausschnitt): Nadine Schwickart

„Wir lieben Heldengeschichten“

19. Mai 2025

Nelly Gawellek von der Kölner Anna Polke-Stiftung über „Nachstellung“ im VdH-Museum – Sammlung 05/25

1964 hängten die Kunststudenten Manfred Kuttner, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Gerhard Richter ihre Bilder ohne Erlaubnis in den Vorgarten der Wuppertaler Galerie Parnass. Die Künstlergruppe Konsortium reagiert mit ihrer Ausstellung auf dieses Ereignis.

engels: Frau Gawellek, die Ausstellung befasst sich mit der „Vorgartenausstellung“ (1964) in der Wuppertaler Galerie Parnass. Was war so bedeutend daran?
Nelly Gawellek: Das Besondere ist sicherlich, dass es 1964 eigentlich gar keine Ausstellung war, die Aktion aber unter dem Titel „Vorgartenausstellung“ in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Die vier befreundeten Künstler Manfred Kuttner, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Gerhard Richter haben 1964 alle noch an der Kunstakademie studiert und beschlossen, sie müssten bekannter werden. Dafür haben sie sich zusammengetan und in verschiedenen Konstellationen Aktionen geplant. Eine davon war, einen Laster vollgeladen mit ihren Kunstwerken aus ihren Ateliers in die renommierte Galerie Parnass nach Wuppertal zu fahren und sie im Vorgarten der Villa aufzubauen. Das hieß: Sie haben ihre Bilder in den Schnee gestellt, an Zäune gelehnt oder in die Bäume gehängt. Mit dieser „Guerilla-Aktion“ wollten sie sich bei dem Galerist Rudolf Jährling bewerben, der damals ja schon sehr bekannt war, besonders mit seinem Fluxus-Programm. Und das hat auch geklappt. Zumindest für drei der vier: Lueg, Polke und Richter haben kurz danach zusammen eine Ausstellung in der Galerie machen dürfen. Diese Zeit war prägend für die Karrieren der Künstler, Polke und Richter hatten erste Erfolge mit ihrer Kunst. Konrad Lueg hat die Seiten gewechselt und als Konrad Fischer eine Galerie eröffnet, die sehr wichtig geworden ist und die es auch heute noch gibt – und Manfred Kuttner wurde Leiter des grafischen Ateliers einer Farbenfabrik. Das ist der historische Ausgangspunkt für die Ausstellung von Konsortium heute.


Kunst: Postkarte links: Konrad Fischer, Gerhard Richter, Sigmar Polke vor der Galerie Parnass, Wuppertal, Februar 1964, Foto: Rolf Jährling, ZADIK | Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung, Universität zu Köln, Bestand Galerie Parnass, A5, VIII, 108; Postkarte rechts: Konsortium, Nachstellung, Wuppertal, 2025

Die Künstlergruppe aus Lars Breuer, Sebastian Freytag und Guido Münch blickt aus der Perspektive einer aktuellen Generation Kunstschaffender auf die historische Aktion. Ist der Vorgarten noch bespielbar?
Das war tatsächlich am Anfang mal eine Idee, es hat sich aber schnell in eine andere Richtung entwickelt, weil der Kontakt zum Von der Heydt-Museum entstanden ist und hier auch von Anfang an Interesse an dem Projekt bestand. Im Museum gab es 1980 eine Ausstellung zur Galerie Parnass. Wir haben dort im Archiv recherchiert und uns die Dokumente zu der damaligen Ausstellung angeschaut und sind dann aufmerksam geworden auf einen Raum im Eingangsbereich des Museums, der sogenannte „Raum hinter dem goldenen Vorhang“. Für die Gruppe schien das eine passende Situation. Die Idee war auch von Anfang an, eine Videoinstallation zu zeigen, und die funktioniert eben besser drinnen als draußen.

Was zeigt diese Installation?
Das Interessante ist, dass die Künstler gerade nicht die historische Aktion dokumentieren, sondern dass es sich, wie der Titel schon sagt, um eine „Nachstellung“, also eine Aktualisierung aus heutiger Perspektive handelt. In dem Film von Konsortium wird beispielsweise die Autofahrt von der Düsseldorfer Kunstakademie zur ehemaligen Galerie Parnass zu sehen sein. Die Villa ist heute aber wieder ein Wohnhaus. Die Aufnahme ist schwarzweiß, aber es ist trotzdem klar erkennbar, dass sie aus der Gegenwart stammt, so sieht man beispielsweise aktuelle Wahlplakate am Straßenrand. Das Ganze oszilliert zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Man hört dazu verschiedene Personen, die über ihre Karrieren sprechen, über Lebensentscheidungen, Wendepunkte in ihren Biografien. Über Fragen also, die sich vielleicht Polke, Richter, Kuttner und Lueg damals auch während der Fahrt gestellt haben. Die Fragen werden damit in die Gegenwart geholt und gleichzeitig kommen auch die Geschichten der Künstler wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Denn darum geht es auch bei dem Projekt. Wir lieben ja Heldengeschichten und auch die Kunstgeschichte erzählt sie gern, so wie die Geschichte von der legendär gewordenen „Vorgartenausstellung“. Die Realität, die dahinter stand, ist aber vielleicht gar nicht so spektakulär und die Fragen sind vielmehr universell: Was mache ich als Künstler, wenn ich an der Akademie studiert habe? Wie kann ich auf mich aufmerksam machen? Sollte ich Netzwerke knüpfen oder mich mit anderen zusammentun? Das sind Fragen, vor denen Künstler:innen auch heute stehen. Und das sind die Parallelen zwischen gestern und heute.

Bleibt das kapitalistischer Realismus?
Das ist besonders für Sigmar Polke ein gutes Stichwort. Das Projekt wurde ja von uns, der Anna Polke-Stiftung initiiert, die sich besonders mit dem Werk von Sigmar Polke beschäftigt. Seine frühen Arbeiten der 1960er Jahre werden oft unter dem Label „kapitalistischer Realismus“ oder „deutsche Pop Art“ subsummiert, also einem Stil, der sich mit den Motiven der deutschen Wirtschaftswunderzeit und der aufkommenden Warenkultur auseinandersetzt. Im Fall von Polke ist es aber so, dass die sogenannten „Rasterbilder“ oder Gemälde von Würsten und Schokolade erst etwas später entstanden sind. In den ganz frühen Ausstellungen gab es sowas gar nicht. Das war für uns eine ganz spannende Entdeckung, und wir haben uns gefragt, wieviel kapitalistischer Realismus ist da überhaupt – oder steckt nicht auch vielleicht sogar einiges an Fluxus in der „Vorgartenausstellung“?

Wie würden Sie die heutige Aktion sehen, ist das eher Kunst-Archäologie oder ein Reenactment?
Ich würde sagen, es ist eine Kombination aus künstlerischer und wissenschaftlicher Recherche. Wir haben oft gemeinsam mit den Künstlern von Konsortium über Fotos aus der Zeit gesessen, zum Beispiel im ZADIK, dem Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung, wo der Archivbestand der Galerie Parnass liegt, und haben zum Beispiel versucht, Werke zu identifizieren und Listen erstellt, was wo zu sehen war. Wir haben auch versucht, im Vergleich mit Katalogen Werke wiederzufinden, weil das alles noch gar nicht so genau dokumentiert war. Ein paar Fragen sind aber auch bis jetzt offen geblieben.

Das eigentliche Handwerk gerät immer weiter ins Abseits – wie gefährlich ist künstliche Intelligenz für die Authentizität?
Das ist natürlich ein wichtiges Thema, um das wir in der Kunstgeschichte auch nicht rumkommen werden. Es kommt ein bisschen darauf an, mit welcher Frage man sich das anschaut. Ich kann mir vorstellen, dass das für Künstler eine andere Rolle spielt als für uns in der Kunstgeschichte, Kunstwissenschaft oder im Archivwesen. Da stellen sich neben urheberrechtlichen Fragen auch die, wie man die Technologie wohl einsetzen könnte, um Prozesse zu optimieren oder Daten zu analysieren.

Bleiben für die Künstler:innen die Existenzsorgen und mögliche Strategien, bei Filmschauspieler:innen ist die KI ja schon relativ gefährlich.
Ich kann mir vorstellen, dass es da spannend bleibt. Aber auch zu sehen, wo Künstler:innen Künste mit KI entwickeln und sie bewusst einsetzen. Ich persönlich hoffe nicht, dass die KI irgendwann das künstlerische Schaffen ablösen oder ersetzen wird. Denn ich glaube, das würde traurig.

Nachstellung – Man sollte eine Gruppe gründen. | 6.6.-6.7. | Von der Heydt-Museum | 0202 563 62 31

Interview: Peter Ortmann

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