Der polnische Künstler (1889-1945) wurde im Zweiten Weltkrieg nach Auschwitz deportiert und starb im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Das Zentrum für verfolgte Künste zeigt seine erste monografische Ausstellung außerhalb Polens. Ein Gespräch mit Jürgen Kaumkötter, Museumsdirektor und Experte für Kunst aus dem Holocaust.
engels: Herr Kaumkötter, in diesen Zeiten die Ausstellung eines in Bergen-Belsen ermordeten Künstlers zu zeigen ist mehr als ein Statement, oder?
Jürgen Kaumkötter:Das ist absolut notwendig. 80 Jahre, nachdem der Künstler Mariam Ruzamski ermordet wurde und wir die Verantwortung vor der Geschichte nicht als Worthülse im Raum stehen lassen dürfen, sondern diese Verantwortung übernehmen und das mit unseren polnischen Kolleginnen und Kollegen. Das sehen wir ganz bewusst als Statement für unsere gemeinsame Erinnerungskultur in Europa.
Wie besonders ist in diesem Fall der „polnische“ Hintergrund?
Also der Künstler Mariam Ruzamski ist in Bielsko Biała geboren, das ist genau auf der Grenze zwischen dem deutschen und dem polnischen Sprachraum. Er bewegte sich auch genau auf dieser Linie. Sein Vater wark.u.k. (kaiserlich und königlich, gemeint ist die Zugehörigkeit zu Österreich-Ungarn, Anm. d. Red.) –österreichischer Notar, also eigentlich Pole, aber 1889 gab es Polen ja noch nicht. Polen war aufgeteilt zwischen Russland, Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich. Und so ist der polnisch-jüdische Künstler, seine Mutter ist eine französischsprachige Jüdin, in beiden Sprachwelten aufgewachsen und hat später in Krakau studiert und gehörte zu denjenigen, die sich für die Gründung des polnischen Staates einsetzten. Als der dann gegründet wurde, war er wegen des Ersten Weltkriegs als Kriegsgefangener in Russland und hat da eine psychische Erkrankung durch die Erlebnisse während der bolschewistischen Revolution erlitten. Er ist also ein Künstler, der im Grunde das europäische Schicksal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht erst mit dem Holocaust erleiden musste, sondern schon vorher von der Zeitgeschichte hin- und hergerissen wurde.
Was unterscheidet das Werk von Mariam Ruzamski von erhaltenen Bildern anderer KZ-Insassen? Seine besonders objektive Qualität?
Mariam Ruzamski war schon in der Kunstakademie in Krakau vor dem Ersten Weltkrieg ein herausragendes Talent. Er hat nicht umsonst 1914 im Frühling einen Preis von den Freunden der schönen Künste erhalten, und das war ein Stipendium für einen Paris-Aufenthalt. Dann kam der Erste Weltkrieg und das erste große Desaster, von dem er sich zeitlebens nicht erholt hat. So ist dieses große Talent schon vor 1939, vor dem Überfall der deutschen Truppen auf Polen, an seiner freien Entfaltung gehindert worden. Aber dieses Talent war nicht verloren, als er 1943 aufgrund von Denunziation nach Auschwitz verschleppt wurde. Er konnte dort in einem ganz kleinen Bereich des Lagerkrankenhauses, in dem er von polnischen Häftlingsärzten und Pflegern geschützt wurde, eine Serie von 47 Porträts schaffen, die künstlerisch einzigartig sind, auch durch die Intensität seines Ausdrucks. Und wenn wir uns vergegenwärtigen, wo die entstanden ist, wird einem ganz kalt. Es ist ein Panoptikum von starken Menschen, die alle ihre Endlichkeit schon im Gesicht tragen.
Wenn wir alle in den Vernichtungslagern umgebrachten Künstler:innen sehen – wie groß ist der Verlust für die Kunstgeschichte und die Kunst selbst?
Unermesslich. Es sind so viele Menschen ermordet und so viele Menschen traumatisiert worden. Daran sind nicht alle gewachsen, sondern die allermeisten sind daran zerbrochen. Das lässt sich nicht in Zahlen belegen, aber wir versammeln bei uns im Museum Schicksale, wo wir sehen können: Hier hat der Mensch überlebt, hier hält er sich am Leben fest, aber das davor und danach sind zu große Unterschiede. Unsere Verantwortung ist es auch immer, beides zu zeigen und zu erklären, warum Bilder plötzlich schrecklich aussehen, stumpf sind oder warum jemand plötzlich nur noch Landschaften malt.
Hat der Ausstellungstitel „Kunst der Erinnerung“ auch etwas Doppeldeutiges?
Ja, genau, es ist die Kunst sich zu erinnern oder die Kunst über die Erinnerung.
Wie schwierig ist die Vermittlung damals verfolgter Künstler:innen im Museumskontext heute?
Es hat in den letzten rund zehn Jahren einen erstaunlichen Paradigmenwechsel gegeben. Von einer Kunst, die nur im Kellergeschoss einer Geschichte existierte, die oft nur im Zusammenhang des Todes und der Vertreibung in zeitgeschichtlichen Institutionen als Illustration gezeigt wurde. Das bekommt heute eine andere Bedeutung und wird jetzt sehr wertgeschätzt. Wir sind in unserem Museum immer wieder überrascht, wie groß die Resonanz ist. Denn diese Künstler:innen sind ja aus dem Kanon der allgemeinen Kunstgeschichte rausgefallen, die hatten keine Lobby mehr, waren nicht in großen Museen. Dann ging die Zeit einfach weiter und man hat die Künstler:innen dann auch nicht irgendwo wieder aufgenommen. Und jetzt ist der Begriff entarteter Künstler:innen zu einem wertschätzenden Moment geworden.
Hat die monografische Ausstellung über Mariam Ruzamski eine besondere Dramaturgie?
Selbstverständlich. Wir haben ungefähr 130 Kunstwerke. Wir sind im Moment noch in den letzten Gesprächen im Leihverkehr. Wir zeigen die sogenannte Auschwitz-Mappe von Ruzamski – die Porträts, die er im Lagerkrankenbau gemacht hat – vollständig. Davon haben wir einen Teil im Original und einen Teil faksimiliert. Denn wir leihen niemals alles aus, damit nicht der gesamte Bestand verschwunden ist, falls es bei uns brennt oder das Gebäude einstürzt. Zwei Drittel bleibt so im Depot des Museums Auschwitz-Birkenau. Dann sind da noch rund 80 Kunstwerke, die wir aus Privatbesitz und aus dem Schlossmuseum Tarnów bekommen. Die Ausstellung ist chronologisch geordnet, wir fangen mit frühen Zeichnungen an, die er vor dem Ersten Weltkrieg auf der Kunstakademie angefertigt hat. Wir zeigen die Bilder, die in Krakau entstanden sind und auch Fotos und Briefe, die er aus Paris geschrieben hat, unterstützt durch Professor Tadeusz Zych, den Hauptforscher zu Ruzamski. Im Untergeschoss zeigen wir dann die Porträts aus Charkiw während der Revolution. Da hat er Porträtaufträge bekommen, darunter ist auch das Porträt eines Bolschewiki und Selbstbildnisse, immer wieder Selbstbildnisse. Dann kommt man in einen Bereich, der abgetrennt ist, und dort ist dann die Ausschwitzmappe zu sehen.
Marian Ruzamski – Kunst der Erinnerung | 8.5. - 14.9. | Zentrum für verfolgte Künste, Solingen | 0212 23 37 47 52
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