Etwas New Yorker Flair in Hagen, das wünscht sich der Glaskünstler Clemens Weiss, der nach langen Jahren in New York (seit 1987) nun in Hagen eine neue Heimat fand. Und prompt eine Vision für die verbaute Stadt entwickelte: „Green Bridge“ – Verkehrsberuhigung und Begrünung der Hochbrücke über die Altenhagener Straße nach dem Vorbild des High Line Parks im Westen Manhattans. Bäume, Blumen, Büsche, Bänke – eine naturnahe Flaniermeile genau dort, wo heute noch, dicht an der Wohnbebauung, der Autoverkehr durchrauscht. In New York waren es einst Güterzüge, bis man ab 2006 die brachliegende Hochtrasse 7,50 m über Straßenniveau zur Grünzone mit Aufenthaltsqualität umfunktionierte. Diesen stadtplanerischen Coup möchte Weiss auf Hagen übertragen und bewirbt seine Idee mit seinen künstlerischen Mitteln, um die Öffentlichkeit einzubinden. Und so präsentiert er ein Modell der „Green Bridge“ im Stile seiner Glasskulpturen zurzeit zusammen mit einer Werkauswahl aus drei Jahrzehnten im Souterrain des Osthaus Museums.
Über meterlang aneinandergereihte Tischgestelle erstreckt sich die Miniatur der Altenhagener Brücke aus recycelten Flachglas-Bruchstücken, die der Künstler teils eingefärbt zu Architektur mit Grünzonen, Laubengängen und Sitzelementen verklebte. All diese Details sind nur frei angedeutet, aber mit erläuternder Beschriftung versehen, die Weiss in die Glasschichtungen fest einfügt – ein Arbeitsprinzip, das er auch in seinen anderen Werken einsetzt.
Flankiert wird die „Grüne Brücke“ (2020) von Zitaten und Porträts begeisterter Anwohner aus New York und von Fototafeln der aktuellen Straßensituation in Hagen in der Gegenüberstellung neben einer New Yorker Impression von entspannt ihre grüne Oase genießenden High-Line-Flaneuren. Außerdem, auf Monitor, ein Drohnenflug über das Areal am Hagener Bahnhof und ein munterer Animation-Clip von Jan Kamensky, der die Vision anschaulich macht. Die Website www.greenbridgehagen.com lässt ahnen: Es wird wohl dauern … und der Künstler muss noch etliche dicke Bretter bohren. Bzw. Glas schichten und verkleben.
Weiss‘ skulpturalen Werke können sich in dieser für Ausstellungen schwierigen historischen Säulenhalle recht gut behaupten. Das ist nicht leicht, inmitten der fein sanierten, mit grau-weißem Anstrich versehenen floralen Jugendstil-Pfeiler und der braunrot verfliesten Wände und Böden. Die Glasobjekte aus rotzig verleimten, teils farbigen oder mit milchigem Kleister verklebten Fensterglasscherben, die der Bildhauer mit Fotos, Zeitungsausrissen oder handschriftlichen Notizen anreichert, stehen locker verteilt in den Nischen oder am Fuß der ornamentalen Raumstützen. Ein ästhetischer Kontrast mit Reiz. Glas ist ein künstlerisch heikles Material, wirkt oft zu schön, zu glatt und gefällig – Weiss arbeitet dagegen an. Wenn er die „Nähte“ an den Bruchkanten der transparenten Scherben mit opaken Leimlinien betont, erinnern diese an Narben oder Wunden, die provisorisch geflickt wurden. Seine stärksten Arbeiten sind abstrakte Landschaften und Architekturobjekte, die mit ihren im selben Stil aus Glasgestellen geformten Sockelunterbauten jeweils eine Einheit bilden.
Clemens Weiss: Green Bridge. Skulpturen | bis 3.9. | Osthaus Museum Hagen | 02331 207 31 38
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