Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 31

12.553 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Regisseur Benjamin Lazar (l.) mit GMD François-Xavier Roth
Foto: Teresa Rothwangl

Das Herz des Liebhabers

01. November 2020

Oper Köln zeigt George Benjamins „Written On Skin“ – Oper in NRW 11/20

Von solch einem Start können andere zeitgenössische Komponisten nur träumen: Als George Benjamins erste große Oper „Written On Skin“ 2012 beim Festival d´Aix-en-Provence aufgeführt wurde, da waren gleich vier bedeutende Opernhäuser aus ganz Europa als Kooperationspartner mit an Bord. Die Produktion zog also nach der umjubelten Uraufführung beim Festival direkt weiter nach Amsterdam, Toulouse, London und Florenz.

„Ziemlich hoch gepokert“, könnte man meinen, zeitgenössische Opern sind im allgemeinen nun wirklich keine sicheren Publikumsgaranten. Doch Benjamin, einstiges Wunderkind aus London, das in den 70-er Jahren mit erst 16 Jahren schon bei dem eigenwilligen Avantgardisten Olivier Messiaen am Pariser Konservatorium studieren durfte, hatte mit Anfang 50 längst bewiesen, dass seine Musik ein größeres Publikum begeistern kann. Den erhofften Höhepunkt beim Festival in Aix hatte er gesetzt. Und so verbreitete sich „Written On Skin“ auch schnell über die ursprüngliche Opernkooperation hinaus in Europa. In Deutschland machte 2013 die Bayrische Staatsoper den Anfang, wenige Monate später folgte das Opernhaus Bonn.

Trobadordichtung aus dem 13. Jahrhundert

In Köln war das Erfolgsstück 2016 konzertant in der Philharmonie zu erleben. Nun bringt es der französische Regisseur Benjamin Lazar erstmals szenisch auf die Bühne im Staatenhaus. Lazar ist unter anderem Spezialist für Theaterformen des Barock. Bei dem Stoff, der dem Komponisten Benjamin für „Written On Skin“ als Vorlage diente, handelt es sich allerdings um noch weitaus ältere Literatur. Librettist Martin Crimp stieß auf eine anonyme provenzalische Trobadordichtung aus dem 13. Jahrhundert mit dem Untertitel: „Das verspeiste Herz“.

Das klingt ziemlich gruselig – und ist es auch. Schließlich steht am Ende einer fatalen Dreiecksbeziehung ein schauriges Abendmahl, bei dem der betrogene Ehemann seiner jungen Gattin offenbart, dass sie gerade vom Herz ihres jungen Liebhabers gekostet hat. Ein Gruselschocker ist „Written On Skin“ aber nicht. Die Konstellation ist vielmehr bekannten Repertoireopern wie Wagners „Tristan und Isolde“ oder Debussys „Pelléas et Mélisande“ nicht unähnlich. Neu hingegen ist Crimps Konstruktion, dass drei Engel mit den Augen unserer Zeit auf das mittelalterliche Geschehen blicken, an dem sie sich gleichwohl selber beteiligen. So ist der junge Buchillustrator (The Boy), den der reiche Grundbesitzer (The Protector) engagiert, auf dass er seine Großtaten in den prächtigsten Farben ausmale, einer dieser Engel. Die junge Frau seines Chefs, Agnès, fängt mit ihm eine Beziehung an. Sie sucht nach sexueller Erfüllung, die sie bei ihrem alten, herrschsüchtigen Gemahl nicht findet. Die Engel betrachten die feudalen und patriarchalen Machtstrukturen nach heutigen Maßstäben und nehmen dabei wieder Distanz zur Handlung ein.

Zwischen den Geschlechtern

Dramaturgisch sind sie so etwas, wie der Chor im antiken Drama, musikalisch in der Besetzung Counterntenor (The Boy), Mezzosopran und Tenor ein Klangkörper zwischen den Geschlechtern. Cameron Shabazi, ein kanadischer Countertenor mit persischen Wurzeln, ist als „The Boy“ zu erleben. In der vergangenen Saison gab er als Guildenstern in der deutschen Erstaufführung von Brett Deans „Hamlet“ sein Hausdebüt. Mezzo Judith Thielsen und Tenor Dino Lüthy machen den Engelschor komplett.

Als tiefer Gegenpart zu „The Boy“ wird Bassbariton Robin Adams antreten. Die junge französische Sopranistin Jenny Daviet gibt Agnès. Das Gürzenich-Orchester spielt unter Leitung seines Generalmusikdirektors François-Xavier Roth. Der facettenreiche Orchesterklang wirkt unter anderem durch ein reich differenziertes Schlagzeug mit allerlei exotischen Klangerzeugern wie Steel Drums, indische Tabla-Trommeln und sogar klingenden Steinen. Die Besetzung sieht auch sehr alte Exoten vor wie eine Glasharmonika oder eine Bassgambe, eine tiefe barocke Kniegeige.

Benjamin ist als Komponist im tonalen System verwurzelt, was seine Musik bei allen Modernismen gut zugänglich erscheinen lässt.

Written On Skin | R: Benjamin Lazar | 1.(P), 20.12. 18 Uhr, 28.12. 19.30 Uhr (Stream) | Oper Köln | 0221 221 28 400

Karsten Mark

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Kung Fu Panda 4

Lesen Sie dazu auch:

Grund des Vergessens: Rassismus
Oper von Joseph Bologne am Aalto-Theater Essen – Oper in NRW 03/24

Urlaub in der Psyche
„Alcina“ an der Oper Wuppertal

Verpasstes Glück
„Eugen Onegin“ in Bonn und Düsseldorf – Oper in NRW 02/24

Täuschung und Wirklichkeit
Ein märchenhafter Opern-Doppelabend in Gelsenkirchen – Oper in NRW 02/24

„Wir hoffen, dass die Geschichte neu wahrgenommen wird“
Regisseurin Julia Burbach inszeniert „Alcina“ an der Oper Wuppertal – Premiere 02/24

Unterschätzte Komponistin?
„Der schwarze Berg“ an der Oper Dortmund – Oper in NRW 01/24

Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24

Der unfassbare Gott
Oper Bonn zeigt Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ – Oper in NRW 12/23

Knechtschaft und Ungerechtigkeit
„Cinderella“ im Opernhaus Wuppertal – Oper 12/23

Unheimlich ungelebte Geschichte
„Septembersonate“ an der Rheinoper Düsseldorf – Oper in NRW 11/23

Ein Schluck auf die Liebe
„Der Liebestrank“ an der Oper Köln – Oper in NRW 11/23

Fluch der tragischen Rache
„Rigoletto“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 10/23

Oper.

Hier erscheint die Aufforderung!