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Jenke Nordalm
Foto: privat

„Das Perfide ist, dass man sich eingeladen fühlt“

28. August 2025

Jenke Nordalm inszeniert an der Wuppertaler Oper „Das Fest“ – Premiere 09/25

Die gleichnamige Filmvorlage von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov handelt von einer Familienfeier, auf der der Missbrauch eines Vaters an zweien seiner Kinder bekannt wird. „Das Fest“ wurde gemäß den Regeln des Manifests Dogma 95 gedreht, mit dem sich dänische Regisseure wie Vinterberg und Lars von Trier eine starke Reduzierung ihrer Mittel verordneten. Bo Hansen hat den Stoff für die Bühne bearbeitet.

engels: Frau Nordalm, ist das nicht ein heftiges Statement, mit einem Kindesmissbrauch die Wuppertaler Spielzeit zu eröffnen?

Jenke Nordalm: Ich gehe davon aus, dass dem Theater dies sehr bewusst ist. Soweit ich weiß, eröffnet es gerne mit einem politischen Statement. Das war auch bei Thomas Köcks Klima-Trilogie so. Dem Theater ist es sehr wichtig, mit einem Paukenschlag zu beginnen, um dann während der Spielzeit auch leichtere Kost anzubieten. Theater muss aber grundsätzlich für Inhalte stehen.

Mit einer Feier hat das Stück nach dem gleichnamigen Film von Thomas Vinterberg letztlich nichts zu tun. Eher mit einer Familientragödie. Wie entwickelt sich die Handlung auf der Bühne?

Es ist tatsächlich so, dass es die Einladung zu einer Familienfeier ist. Es ist auch eine Vorlage, die sich insofern sehr gut für das Theater eignet, da die Grundsituation des Festes schon ein Zusammensein bedeutet, was der theatralen Handlung sehr dienlich ist. Das Perfide, das Verrückte bei diesem Drehbuch und Stoff ist, dass man sich eingeladen fühlt, weil das eine Situation ist, die jeder kennt. Thomas Vinterberg macht das sehr geschickt, indem er alle Figuren schon bei der Ankunft und bei der Begrüßung mit dem Jubilar einführt. Eine Situation, die man selbst erlebt hat – man kommt zu einem Haus, es werden höfliche Geplänkel gewechselt, man freut sich auf das Zusammensein, es gibt kleinere Reibereien. Es steckt unglaublich viel in diesem Vorspiel, bevor es dann zur Tafel geht, und schon ist man als Zuschauer mittendrin. Jeder kennt das und erkennt sich und andere wieder. Damit hat man schon sehr viel Fallhöhe erreicht. Das Schmunzeln ist groß oder auch die Verwunderung über die Ähnlichkeit von Familienfesten.

Die Große Bühne im Opernhaus passt sicher zum Festsaal. Passt sie auch zur Dramaturgie einer solchen Geschichte, mit dem Drinnen und Draußen und den verschiedenen Zimmern?

Mir macht es kein Kopfzerbrechen, weil das Team zusammen – Ulf Steinhauer macht die Musik, VesnaHiltmann macht Bühne und Kostüm – sehr oft Filmadaptionen für verschiedene Spielorte macht. Auch bei Shakespeare gibt es immer ein Irgendwo-Drinnen und -Draußen. Das braucht dann einfach die nötige Phantasie, um diese Ortswechsel auf der Bühne zu realisieren. Es ist machbar, aber es bedeutet ein genaues Durchdenken der Szenen, eher ein Shakespearsches Denken. Da zerrt dann auch mal der eine den anderen an die Rampe, wenn es Zeit ist, ein Gespräch zu führen.

Was ist ein „Toastmaster“?

Ein Toastmaster ist im Dänischen und in einigen anderen Ländern jemand, der ein Fest moderiert. Wie es das bei Hochzeiten auch gibt, jemand, der die Reden anmoderiert oder an den man sich wendet, wenn man noch einen Beitrag hätte. Das macht ein Toastmaster. In diesem Stück ist es ein langgedienter Mitarbeiter des Jubilars und kein Familienmitglied.

Wie bedeutsam ist das Manifest Dogma 95 für die Inszenierung?

In der Konzeptionsphase haben wir natürlich viel darüber gesprochen, was Dogma 95 bedeutet, nicht nur im Film zu der Zeit. Viele der Spieler:innen und auch Teile des Teams sind zu einer Zeit geboren, als das die große Welle im Kino war. Das war für uns ja ein ganz neues Filmerlebnis, als wir damals angefangen haben zu studieren. Eine sehr einprägsame Zeit. Das hatte mit dem Theater zu tun, wie es vielleicht 80 Jahre vorher bei Strindberg und Ibsen war. Das Manifest hat was mit einer Direktheit zu tun, mit einer Dreckigkeit, mit etwas Purem – und verbannte auch die Filmmusik, heute ist alles Hochglanz, jeder kann alles manipulieren. Bei Dogma ging es um das Echte – und das ist auch für das Theater sehr wichtig, denn im Theater geht es um den Live-Moment und um das Herstellen von großen Situationen, Emotionen. Deswegen spielt Dogma 95 bei uns natürlich eine Rolle. Aber nicht so, dass wir gesagt hätten, wir verzichten auf unseren Musiker. Das Theater hat eben andere Spielregeln als ein Film. Man käme durchaus ohne Sound aus, wenn es eine kleine Bühne wäre. Um „Das Fest“ aber auf die Opernbühne zu setzen, braucht es ein bisschen mehr Sound, der dem Ganzen dienlich ist und auch den Blick lenkt.

Wie weit ist die Theaterfassung vom Film weg?

Die ist nicht weit entfernt. Weil der Film ja immer kleinere Takes hat, haben wir Szenen zusammengelegt oder auch umgedreht. Wir haben sie ein bisschen frisiert, aber nichts komplett anders gemacht. Kein Stück „nach Thomas Vinterbergs ,Fest‘“.

Die Theaterfassung von Bo Hansen ist ja in Zusammenarbeit mit Thomas Vinterberg entstanden. Sie beinhaltet auch filmische Elemente. Kommt das bei Ihnen auch vor?

In der Vorlage, die wir haben, sind das Phantasiemomente, bei uns sind das surreale Szenen. Aber nicht als explizit filmische.

Bei Thomas Vinterberg ist der Täter krank. Bleibt das in Wuppertal auch so?

Theater steht ja dafür, dass man nicht fürs Publikum urteilt. Vielleicht sagt man, das ist unsere Haltung zu der ganzen Sache, aber man merkt sehr schnell, auch wenn man von dem Stück erzählt, dass jeder dazu eine eigene starke Haltung hat. Das Thema schockiert jeden. Wir haben in Proben Zuschauer:innen gehabt, die das Stück nicht kannten. Diese haben gefeedbackt, wie entsetzt sie darüber waren, dass über einen absurd langen Zeitraum niemand der Festgesellschaft auf die Vorwürfe des Missbrauchs reagiert. Und das ist dann etwas, da müssen wir nicht mit dem moralischen Zeigefinger kommen. Das funktioniert gut und das hat Vinterberg fantastisch komponiert, sodass ein solches Unbehagen entsteht, das man gar nicht abschütteln kann. Und für alles andere sind Psycholog:innen und Jurist:innen zuständig und die Familien, die das aufarbeiten müssen. Da möchte ich mich gar nicht aus dem Fenster hängen.

Keine Angst vor Widerspruch aus dem Publikum?

Nein, überhaupt nicht. Seit es diesen Film gibt, wollte ich das auf der Bühne machen. Ich bin sehr froh, dass ich jetzt die Gelegenheit habe. Und Diskussionen? Unbedingt! Bitte, bitte. Drüber reden.

Das Fest | 20. (P), 21.9., 4.10., 1., 21.11., 14.12., 4.1., 19.4., 2.5. | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 76 66

Interview: Peter Ortmann

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