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Albrecht Schuch als Thomas Brasch in „Lieber Thomas“
Foto: Presse

„Der Stoff ist genau an den Richtigen geraten“

27. Oktober 2021

Albrecht Schuch über „Lieber Thomas“ – Roter Teppich 11/21

Albrecht Schuch (geboren 1985 in Jena) wurde nach seinem Schauspielstudium in Leipzig direkt ins Ensemble des Berliner Maxim-Gorki-Theaters übernommen. Nach ersten Erfolgen in „Die Vermessung der Welt“, „Paula“ oder der Serie „Bad Banks“ gelang ihm bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2020 ein Novum: Er wurde sowohl als bester Haupt- („Systemsprenger“) wie als bester Nebendarsteller („Berlin Alexanderplatz“) ausgezeichnet. Als Thomas Brasch ist er nun ab dem 11. November in „Lieber Thomas“ im Kino zu sehen.

engels: Herr Schuch, wann sind Sie das erste Mal mit dem Namen Thomas Brasch in Berührung gekommen, er ist ja heute nicht mehr ganz so bekannt?

Albrecht Schuch: Ich habe in der Schauspielschule das erste Mal von ihm erfahren, durch einen Text mit dem Titel „Warum spielen?“. Der ist schon sehr auf meinen Beruf, die Profession des Schauspielers, bezogen, ist aber auch übertragbar. Er ist wie ein Dogma, eine halbe Seite lang, also relativ kurz, aber doch sehr wuchtig und inhaltlich tiefsinnig, wie viele seiner Texte. Er handelt von der Lust der Verwandlung im Gegensatz zum drögen Leben (lacht). Der hing an einem Spind in der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Bei meinem ersten Engagement lernte ich in meiner Kollegin Julischka Eichel einen totalen Brasch-Fan kennen, sie hat mir viele seiner Texte zum Lesen gegeben. Bei „Mitten in Deutschland: NSU – Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ hatte ich mit Thomas Wendrich zusammengearbeitet, und von dem bekam ich dann das Drehbuch zu „Lieber Thomas“ auf den Tisch. Ich bin sofort davon ausgegangen, dass es bei ihm an den Richtigen geraten ist, weil er auch ein großer Brasch-Fan ist.

Und dann sind Sie noch tiefer in Braschs Leben eingetaucht?

Ja, ich habe mich dann mit seinen weiteren Wahnsinnswerken befasst, mein Lieblingsfilm ist „Engel aus Eisen“, aber auch mit seinen Interviews und mit den witzigen und absurden Porträts über ihn. Ich habe auch ein wenig in seine Übersetzungen hineingeschaut, „Macbeth“ kannte ich davon auch schon aus meiner Zeit am Maxim-Gorki-Theater in Berlin. In Berlin bin ich auch in verschiedene Archive eingetaucht und habe Gefährt:innen von ihm getroffen. Und dann habe ich alles wieder vergessen, um unseren Thomas für den Film zu kreieren. Letztendlich war das Inspirationsmaterial, aber mehr darf es nicht sein. Ich hätte die Rolle nicht spielen können, wenn ich mich sklavisch an alle Aussagen der beteiligten Personen gehalten hätte. Weil jeder hat ihn vielleicht ähnlich, aber doch anders beschrieben. Bei ihm war das besonders krass, weil ihn vor allen Dingen Männer und Frauen völlig unterschiedlich beschrieben haben. Das hört sich so easy an. Aber auch so ein großes Vorbild wie Sepp Bierbichler hat über Brasch geschrieben, und ich wurde den Gedanken nicht los, dass er sich den Film anschaut und mit meiner Interpretation Braschs nicht einverstanden ist. Aber ich habe ja auch schon Erfahrung mit der Darstellung tatsächlich existierender Personen, und deswegen kann ich mit einem sklavischen Festhalten an einer allein gültigen Interpretation nichts anfangen, denn sonst werde ich damit nicht glücklich. Sonst ziehe ich nur einen Wissenskoloss hinter mir her und kann niemandem in die Augen gucken, weil ich nur mit mir selbst beschäftigt bin.

„Ich beschäftige mich nicht erst seit gestern mit der DDR“

Sie sind zu jung, um die DDR noch bewusst erlebt zu haben. Haben Sie mit Andreas Kleinert und Jörg Schüttauf über das Lebensgefühl in der DDR gesprochen?

Eigentlich nur im Kontext mit Thomas Brasch. Aber natürlich führt das dann auch zu Geschichten und Gleichnissen. Andreas Kleinert erzählte beispielsweise viel über seine Zeit an der Filmhochschule und den Unterschieden zu Braschs Zeiten dort. Das hilft natürlich. Aber ich beschäftige mich auch nicht erst seit gestern mit der DDR, und auch, wenn ich dort nicht mehr großgeworden bin, bin ich doch immer von ihr umgeben gewesen, durch meine Eltern, unsere Bekannten, Freunde und Familie, die alle mit ihrem unterschiedlichen Päckchen in der DDR groß geworden sind. Jeder hat hier seine eigene Geschichte. Das hat die Menschen ja auf unterschiedliche Weise geprägt. Zudem konnte ich mich über Filme mit ganz anderen Kreisen auseinandersetzen, die mir nicht persönlich bekannt waren. Brasch selbst hat auch viel darüber geschrieben, wie er das erlebt und was das mit ihm gemacht hat. Künstlerisch hatte ich genügend Anhaltspunkte, um ein Gespür davon zu bekommen, wie es um seine Gefühlswelt bestellt war.

Nach „Berlin Alexanderplatz“ haben Sie für „Lieber Thomas“ nun unmittelbar erneut mit Jella Haase vor der Kamera gestanden. War das gleich ein viel vertrauteres Arbeiten?

Das hatte etwas theatermäßiges. Man lernt sich dann noch einmal anders kennen, und es ist toll, dass man schon eine gemeinsame Grundlage hat. Zwischenmenschlich ist man nicht mehr befangen und kann viel schneller zum Arbeiten und zum direkten Austausch kommen. Es war der Kracher, hier nun nicht Jellas Widersacher zu sein, sondern eine Liebesgeschichte mit ihr zu erzählen.

Ihre aktuelle Rollenwahl ist mit „Berlin Alexanderplatz“, „Fabian“, „Schachnovelle“ und nun „Lieber Thomas“ stark literarisch geprägt. Sind Sie denn ein leidenschaftlicher Leser, dass Sie sich von diesen Rollen besonders angesprochen fühlen?

Ich lese gerne, aber leidenschaftlich wäre übertrieben, so viel lese ich nicht. Ja, irgendwie häuft sich das, aber die Leute scheinen das ja auch gucken zu wollen. Aber ich werde dadurch nicht zum Literatur-Schauspieler, obwohl ich damit auch kein Problem hätte.

Ist es dann vielleicht eher das Eintauchen in andere Epochen und die damit verbundenen Lebensgefühle, das Sie bei dieser Rollenwahl reizt?

Eine Verwandlungsvielfalt reizt mich immer. Sich mit Kostümen in anderen Zeiten zu befinden, wird für mich nie an Reiz verlieren. Deswegen werde ich auch immer gern an historischen oder literarischen Stoffen arbeiten. Das hat noch einmal eine ganz andere Qualität, sich hier sowohl als Spieler wie auch als Zuschauer wegzuträumen. Frei mit Fantasie und Realität umgehen zu können, ist ein großer Spaß. In einer anderen Zeit wirkt das, aus dem Jetzt betrachtet, noch extremer.

„Wir haben uns im besten Sinne künstlerisch aneinander gerieben“

Der Film ist auch aufgrund seiner visuellen Spielereien sehr herausragend. Wieviel davon war denn während der Dreharbeiten bereits spürbar?

Ich habe immer mal wieder auf den Bildschirm geschaut, auch wenn ich das nicht oft mache. Der Kameramann Johann Feindt war mir schon vertraut, weil er auch mit einer mir bekannten Dokumentarfilmerin regelmäßig zusammenarbeitet. Deswegen kannte ich seine Bildsprache schon ein wenig, und deswegen wusste ich auch, dass es etwas Besonderes wird. Ich mag es, wenn Filme mit einem dokumentarischen Hintergrund daherkommen und mit einem dokumentarischen Blick versuchen, Realität zu kadrieren. Da bin ich in der Zusammenarbeit mit dem Kameramann auch häufig ins Schwitzen gekommen, denn die sehr genau kadrierten Bilder und Kompositionen sind eigentlich ein Widerspruch zu Brasch. Ich musste die Freiheit haben, das immer mal wieder auch anders zu machen. Da mussten wir uns dann finden, denn häufig war ich ihm in meinem Spiel zu weit aus dem Bild oder zu verdeckt, nicht richtig auf Marke. Aber das war auch ein schöner Tanz, wir haben uns da beide im besten Sinne künstlerisch aneinander gerieben.

Sie sind in diesem Jahr einer der European Shooting Stars auf der Berlinale geworden. Konnten Sie da trotz der Corona-Einschränkungen netzwerken und die Vorteile dieser Auszeichnung ausnutzen?

Wir hatten ein kleingehaltenes Liveevent draußen auf der Museumsinsel, das sehr schön war, und wo man sich endlich richtig kennenlernen konnte. Aber es war zu kurz, vier Tage wären besser gewesen. Die drei Tage davor fanden nur am Computer statt, wo wir Caster aus der ganzen Welt virtuell kennenlernen konnten. Das war Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil es einfach bescheuert ist, Menschen über den Bildschirm kennenzulernen und mit ihnen zu kommunizieren. Aber auch Segen, weil wir so mit Menschen sprechen konnten, die ansonsten nicht nach Berlin gekommen wären, weil es für sie zu aufwändig oder zu zeitintensiv gewesen wäre.

Demnächst wird man Sie an der Seite von Daniel Brühl in einer Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ sehen – können Sie darüber schon etwas sagen?

Ich glaube, das wird ein richtiger Hammer, das wird krachen. Der Film wird sich nicht verstecken müssen hinter der großartigen literarischen Vorlage von Erich Maria Remarque. Wenn der nur halb so toll werden wird, wie sich das beim Arbeiten angefühlt hat, dann wird das ein grandioser Film werden. Ich bin sehr gespannt darauf.

Interview: Frank Brenner

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