Wo kann man Plüschtiere, Frühstücksbrettchen und dazu noch Fruchtgummis kaufen? In einer Buchhandlung bei mir um die Ecke. Das Stadtviertel, in dem ich lebe, besaß vor anderthalb Jahren in einem Radius von vielleicht 350 Meter Luftlinie fünf Buchhandlungen. Ja, bei uns wird noch viel gelesen. Das ist auch Marktbeobachtern einer großen Buchkette aufgefallen, die sich dieses fruchtbare Literaturbiotop nicht entgehen lassen mochten und von ihrer Geschäftsstrategie abweichend, auch einmal ein Ladenlokal im Vorort eröffneten. Eine der fünf etablierten Buchhandlungen schloss bald ihre Pforten, dafür haben wir nun die Großbuchhandlung.
Haben wir etwas gewonnen? Zumindest können wir sicher sein, dass wir in dem neuen Geschäft unbehelligt von jedem Beratungsgespräch bleiben, für kontaktscheue Menschen geradezu ein Paradies. Weit und breit keine Buchhändlerin zu sehen, alle Verkäuferinnen stehen dicht gedrängt hinter der Kasse. Dafür sind überall kleine Tische positioniert, auf denen in großen Lettern das Wort „Bestseller“ prangt. Schon bald gewinnt man den Eindruck, dass es sich wohl nicht lohnt, ein Buch zu lesen, das nicht bereits mindestens 2 Millionen Mal verkauft wurde.
Das Ausmaß der Beratung beschränkt sich auf kleine Karteikarten, die an den Regalbrettern angebracht sind und in winziger Handschrift Lesetipps enthalten. Wer mag die entziffern? Die Menschen, die „Bewusst leben“? So heißt eine Abteilung hier, oder eine andere: „Freche Frauen“. Wer mag das sein, und was geschieht, wenn ich eine Frau meines Alters so nenne? Fragt die mich dann, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe? In den Regalen hinter den Tischchen stehen nur wenige Titel, geradezu armselig, egal ob ich nun bei Kochbüchern, Krimis, Reiseliteratur oder Jugendbüchern schaue. Bei letzteren ist manchmal ein ganzes Regalbrett mit nur einer Buchserie vollgestellt.
Im Grunde ist das hier mehr ein Shop als eine Buchhandlung. Aber wie soll es auch anders sein angesichts der Tatsache, dass der Umsatz über Quadratmeter hereingeholt werden muss. Hier muss um jeden Preis verkauft werden, da kann man sich nicht das Risiko zahlreicher Einzeltitel leisten. Die bekomme ich um die Ecke in einer Buchhandlung, die statt der 400 qm nur 50 qm zur Verfügung hat, und in der ein Buchhändler sitzt, der zu jedem Belletristik-Titel und zu jedem Kinderbuch eine spezielle Empfehlung aussprechen kann. Allerdings müsste ich mit dem reden, oder ihm zumindest „Guten Tag“ sagen. Ach, dann geh ich doch lieber in den Shop mit den Fruchtgummis.
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