Zellulose-Haptik war für Agenten des vergangenen Jahrtausends ein absolutes Muss. Schreibmaschinenseiten, Zettel mit roten „Geheim“-Stempeln, abgeheftete Schnipsel hier, einsortierte Schnipsel da. Wenn das nicht so gruselig wäre, man könnte alles wie Daniel Knorr auf einen großen Haufen in eine Vitrine (State of Mind, 2007) packen und als Objet trouvé zu Kunst erklären. Das hätten sich die Stasi-Mitarbeiter sicher nicht träumen lassen, als sie damals mit wirrem Blick die Geheimdokumente geschreddert, gepappt und hinterher noch mit Wasser und Öl übergossen haben.
Der Haufen unter Glas ist Teil der internationalen Gruppenausstellung „Artists & Agents – Performancekunst und Geheimdienste“ im Dortmunder HartwareMedienKunstVerein (HMKV), einer interessanten Schau über die Interaktion zwischen Geheimdiensten und Performancekunst. Diese galt allen Geheimdiensten im ehemaligen Ostblock als besonders gefährlich, tauchte sie doch auf und verschwand wieder, hinterließ oft nichts als ein paar Devotionalien für Bilddokumentationen der jeweiligen Landesstasi. „Artists & Agents“ ist skurril und doch bedenklich. (Denken wir nur an das Performanceteam „Zentrum für politische Schönheit“ („Bau das Holocaust-Mahnmal vor Höckes Haus!“), wo die Linken im vergangenen Frühjahr aufdeckten, dass die Staatsanwaltschaft Gera (Aktenzeichen 173 Js 39497/17) bereits seit 16 Monaten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) gegen die Künstler führte.) Man muss sich das unweigerlich auftauchende Schmunzeln verkneifen, wenn man die teilweise recht hilflosen Attacken der Stasi gegen das künstlerische Böse dokumentiert sieht.
Fluffig, durchscheinend, offen – also alles was Geheimdienste gar nicht abkönnen – kann der Blick durch die Ausstellung aus mehr als zwei Dutzend künstlerischen Positionen nebst Aktenmaterial wandern, bevor man sich der getippten Kleinteiligkeit nähert, allerdings nachdem man die großformatigen (und auch bunten!) digitalen Projektionen von Cornelia Schleime bewundert hat. Mit „Bis auf weitere gute Zusammenarbeit, Nr. 7284/85“ (1993/2019) hat die Künstlerin auf ihre Stasi-Akten reagiert und die dilettantischen Analysen der informellen Mitarbeiter (IMs) szenisch nachgestellt. Aber die Ausstellung fokussiert nicht nur die ehemalige DDR, künstlerische Subversion wurde auch in anderen Ländern bekämpft. In einer Vitrine zeigt sich, dass auch in Rumänien unter Ceaușescu die Securitate immer vor Ort war. Eine Multimedia-Birthday-Action-Performance der Gruppe MAMÜ 1982 ist deshalb nicht nur von den Künstlern, sondern auch von den staatlichen Spähern fotografisch festgehalten worden – die haben das natürlich aktenmäßig weiterverarbeitet.
Manchmal mussten in Deutschland die IMs allerdings auch selber ran. Als die Erfurter Künstlerin Gabriele Stötzer Fotoserien mit einem Transvestiten machen wollte und jemanden suchte, schickte ihr die Stasi „Winfried“ vorbei. Der sollte die Kunst-Performance in Richtung Pornografie drehen und so mögliche Anklagepunkte kreieren. Doch der Spitzel hatte wohl während der sieben Serien so viel Spaß am Posing, dass er seinen Auftrag vergaß - die Fotos sind in der DDR dennoch nie ausgestellt worden.
Artists & Agents – Performancekunst und Geheimdienste | bis19.4. | HMKV im Dortmunder U | Eintritt frei
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