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Judith Winterhager
Foto(Ausschnitt): Presse

„Es ist schon wichtig, dass es Erklärungen gibt“

31. Juli 2025

Die Kuratorin Judith Winterhager über „Sex Now“ im Düsseldorfer NRW Forum – Sammlung 08/25

Die Ausstellung befasst sich mit sexueller Befreiung und Freiheit im 21. Jahrhundert. Zu sehen sind Werke von Künstler:innen, Designer:innen und Aktivist:innen.

engels: Frau Winterhager, die Ausstellung wird kaum nach Kabul oder Teheran wandern können, oder?

Judith Winterhager: Das wird schwierig, denn in den islamischen Ländern herrscht ja eine viel strengere Auffassung von Sexualität und Moral. Wir zeigen eine Arbeit aus dem Libanon. Die heißt „Syrian Lingerie“ – da geht es um ganz verschiedene Unterwäsche-Modelle, die in Syrien in den 1990er Jahren verkauft wurden. Rana Salam, Künstlerin und Mitautorin des Buchs „The Secret Life of Syrian Lingerie“ hat gesagt, was für ein großes Thema das dort ist, denn obwohl es in der syrischen Gesellschaft nach außen nicht sichtbar ist, wird dort natürlich auch Unterwäsche getragen und über solche Themen geredet, allerdings mehr im privaten Rahmen. In konservativen syrisch-muslimischen Kreisen ist der Kauf solcher Unterwäsche eine beliebte Tradition, besonders bei Hochzeiten. Die Ausstellung an sich ist insgesamt sehr westlich bestimmt. Wir haben aber auch einige Exponate, die nicht aus Europa kommen; zum Beispiel die Arbeit von Krezia Mukwazhi, einer afrikanischen Künstlerin, die in dem #MeToo-Raum gezeigt wird.

Für den Erfolg der Schau brauchen Sie aber ein klein bisschen Voyeurismus?

Das ist auf jeden Fall von Nöten. Den werden wir wahrscheinlich auch befriedigen können. Die Ausstellung ist sehr direkt, aber auch sehr humorvoll. Es ist uns wichtig, dass wir auch mit einem Augenzwinkern arbeiten und gerade bei dem Thema durch Humor in den künstlerischen Arbeiten das auflockern und dazu auffordern, darüber zu reden.

Worum geht es in „Sex Now“ überhaupt und was ist zu sehen?

„Sex Now“ entstand aus dem Bedürfnis heraus, ein zeitgemäßes Bild von Sexualität zeigen zu wollen, jenseits von Scham, Stereotypen und den vorherrschenden Vorstellungen. Wir schauen dabei vor allem auf gesellschaftliche Umbrüche, auf mediale Debatten und stehen für eine neue Offenheit für queere und feministische und sexpositive Diskurse. Das ist auch das erste Kapitel, mit dem wir die Ausstellung beginnen. Wir starten an diesem Wendepunkt in den 1960er Jahren, wo Sex vom Tabuthema in Richtung Selbstbestimmung und Vielfalt ging. Sich auf diese Errungenschaften zu konzentrieren ist gerade in Zeiten eines konservativen Backlash mehr als wichtig. Das Thema wird ja gerade viel diskutiert in den politischen Debatten.

Gibt es einen vorgesehenen Weg durch die Ausstellung?

Die Ausstellung gliedert sich in zehn Kapitel. An sich ist es so gedacht, dass wir die Besucher:innen so leiten, dass sie mit dem Kapitel „#Sexpositiv“ starten und einen Einblick in die Thematik bekommen. Dann läuft man durch den Nordflügel, da gibt es das Kapitel „#Untenrum“, in dem es um gesellschaftliche Vorstellung rund um Geschlechteridentitäten und primäre Geschlechtsorgane geht. Das „#Fluffyland“ ist eine queere Bibliothek der nichtbinären Künstler:in Antigoni Tsagkaropoulou, wo man sich reinkuscheln und lesen kann. Die Erzählung startet mit der sexuellen Revolution und geht bis hin zu „Future Sex“ und ganz aktuellen Fragestellungen von KI und Intimität.

Wie notwendig oder schwierig werden die Erklärungen bei den Exponaten?

Notwendig sind sie auf jeden Fall. Wir haben dieses Mal eine ganz umfangreiche Textproduktion, was die kleinen Details und Beschriftungen der einzelnen Exponate angeht, es gibt also sehr viele Objektschilder. Ich denke da gerade an den Bereich „Sexual Wellness“, wo es darum geht, dass Sextoys immer mehr in den Alltag einfließen und dass man dort auch wirklich vermitteln kann, wie sie eigentlich funktionieren: Wie wurden die früher benutzt und was für Zweckentfremdungen gab und gibt es. Die Textebene ist bei dieser Ausstellung ein sehr wichtiges Thema, auch hinsichtlich des aufklärerischen Aspekts. Da wir ja die Ausstellung ab 16 Jahren anbieten, ist es wichtig, dass es ausreichend Erklärungen gibt.

Pornoindustrie und -konsum haben sich über die Jahrzehnte stark verändert. Setzt sich die Ausstellung auch mit Sucht auseinander?

Die Pornoindustrie beleuchten wir in dem Raum „#PORyes“, das ist die Gegenbewegung zu „PorNo“. Da wird hauptsächlich emanzipiertes pornografisches Filmmaterial aus feministischer Perspektive gezeigt. Glücklicherweise hat das Berlin Porn Festival gerade sein 20-jähriges Jubiläum und stellt uns ein Kompendium von Filmen zusammen, die wir dann zeigen werden. Die Suchtfrage kommt in der Ausstellung nicht weiter vor.

Dafür werden alte Helden der Subkultur wie Tom of Finland wieder ins Licht gehoben?

Absolut, genau. Wir sind sehr froh, ihn zeigen zu können. Er war maßgeblich für das Empowerment der schwulen Bewegung bekannt – es gibt dazu auch einige künstlerische Positionen, es gibt ja die Tom Finland Foundation, die die ganzen Nachwuchskünstler:innen fördert. Da haben wir dann auch einige bei uns dabei. Im Kapitel „#Kinky“ zeigen wir ganz viele Originalzeichnungen von Tom of Finland.

Arvida Byström, Coexist, 2022, Fotografie, Courtesy the Artist © Arvida Byström

KI wird die Sexindustrie stark verändern. Schafft das nicht auch neue Arbeitsplätze?

KI ist besonders spannend: Gerade bei Seiten wie Pornhub, wo man dann die absurdesten Bilder kreieren kann, gibt es auch schon viele künstlerische Arbeiten. In Berlin gibt es bereits ein Cyber Bordell, das Cybrothel, wo Sexdolls in den einzelnen Räumen die menschlichen Sexworker:innen ersetzen. Ich glaube aber immer noch daran, dass Intimität und Interaktion zwischen Menschen nicht ersetzt werden kann. So wie wir immer schon mit Technik leben, wird das natürlich weiterhin ein Teil von uns werden und sein.

Die Ausstellung wird von einer Männer-Sextoys-Firma gesponsert, behauptet aber, dass die Sexindustrie zunehmend weiblich geprägt ist. Wie geht das zusammen?

Gute Frage. Also erst mal wird die Ausstellung neben Alain Bieber auch von mir co-kuratiert. Bei diesem Thema ist es toll, dass wir ein Kuratorenduo sind, um unterschiedliche geschlechterspezifische Perspektiven einzunehmen. Tenga ist ein Partner von uns, die haben ursprünglich mit dem Tenga Cup die Revolution gerade auf dem japanischen Markt mit männlichen Sextoys losgebrochen. Das Spannende ist bei denen, dass sie auch mit einer sehr großen Spannbreite an weiblichen Toys erfolgreich sind. Noch dazu haben sie sich mit der Menopause auseinandergesetzt, und da gibt es auch im Wellnessbereich Produkte wie Öle oder Beckenbodentraining für Frauen im Alter.

Es gibt aber keine Arbeiten in der Ausstellung, die schwarz abgehängt sein müssen?

Nein, das gibt es nicht. Wir machen alles zugänglich, auf die eine oder andere Weise. Manchmal gibt es Vorhänge, um ein bisschen was zu verhängen oder die Besucher:innen neugierig zu machen. Und bei der erotischen VR-Installation geht man durch einen Vorhang und kann sich dann durch unterschiedliche virtuelle Räume bewegen und Avatare treffen.

Sex Now | 5.9. - 3.5.26 | NRW Forum Düsseldorf | 0211 56 64 21 00

Interview: Peter Ortmann

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