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Dem Unberechenbaren die Türe öffnen

22. Januar 2020

Barbara Fuchs‘ erfrischender Umgang mit dem Familiengebilde – Tanz am Rhein 01/20

Jedes Ensemblemitglied durfte sich eine Aktion wünschen, die in der neuen Inszenierung von Barbara Fuchs enthalten sein sollte. Ein Kind wünschte sich „Schokolade essen“ und tatsächlich, in der Mitte der Aufführung von „Mischpoke“ gibt es einen Moment, in dem alle innehalten und Schokolade futtern. Nicht nur die Darsteller, auch das Publikum wird versorgt. „Mischpoke“ ist ein Titel, in dem deutsch-jüdische Ambivalenzen mitschwingen, freundlich abwertend spricht man von der Familie mit all ihren Verzweigungen. Tatsächlich füllt sich die Bühne mit 14 Akteuren, die vom 3-Jährigen bis zur 71-Jährigen so etwa das komplette Spektrum der Generationen abdecken. Da klingt ein Gemeinschaftsgefühl an, wie es „Fridays for Future“ gerne knüpft. „Ich wollte einmal ein Stück für alle machen“, erklärt Barbara Fuchs, die sich angeödet fühlte von den Überlegungen zu einem imaginären Zielpublikum, wie sie gerne von Didaktikern angestellt werden, die über Fördergelder zu entscheiden haben. Tatsächlich gehört die Choreographin zu jenen vier Tanzkünstlerinnen, die in NRW eine Spitzenförderung von 240 000 Euro für die nächsten Jahre erhalten.

Experimentierfreudig und formbewusst zugleich geben sich ihre Produktionen. Etwa das „Papierstück“ für das sie im letzten Jahr den Kölner Kindertheaterpreis gewann. Eine Arbeit, in der sich alles lustvoll um die Geräusche und die Beschaffenheit des Papiers dreht. Nun holt sie Eltern mit ihren Kindern auf die Bühne. Eine Konstellation, die zunächst nicht besonders aufregend scheint. Aber wie man sich täuschen kann, am Ende befindet sich das Publikum in den Kölner ehrenfeldstudios in bester Stimmung, kein Gesicht, auf dem sich nicht ein Lachen abzeichnete. Es wird getanzt und experimentiert, Väter und Mütter ziehen und zerren an den Jungen und Mädchen, von denen man nicht weiß, welches Kind zu welchem Erwachsenen gehört. Klein und Groß behaupten sich gegeneinander, so dass man auf vielerlei Weise in Beziehung zueinander tritt.

Jeder besitzt eine eigene körperliche Aura, man erlebt die Authentizität der quicklebendigen Grundschulkinder ebenso wie die Befangenheit der jungen Teenager oder die Eleganz der Tänzerin Sonia Mota. Barbara Fuchs betont, dass sie keine Hierarchien aufbauen wollte, auch die Kinder wurden für ihre Arbeit entlohnt. Für das Feedback bei den Proben galt, „dass jeder nur eine Korrektur erhielt“, erklärt Barbara Fuchs. Das Stück erinnert an ein Spiel. Es entwickelt sich eine ästhetisch faszinierende Konzeption, die auf Handlung verzichtet und doch Spannung erzeugt. Man weiß nie, was in der nächsten Szene folgen wird, eine zögerliche, mitunter anmutig zarte Grundhaltung bildet die Basis für Gesten und Tanzformationen. Barbara Fuchs hat die Aktionen so elastisch angelegt, dass stets Raum für Improvisationen bleibt und doch geschieht hier nichts ohne Grund.

Dem Unberechenbaren wird die Türe geöffnet, so dass im Publikum Neugierde und Konzentration wachsen. In gewissem Sinne erfindet Barbara Fuchs für diese Produktion das Theater neu. „Es gibt auf der Bühne keine Fehler“, sagt sie und schenkt dem sozialen Gebilde der Familie Raum für inspirierende Momente. Ohne Sentimentalität bemühen zu müssen, darf man die Familie auch einmal von ihrer beglückenden Seite erleben. Ihren Puls erhält sie durch den vitalen Sound von Jörg Ritzenhoff und seiner 13-jährigen Tochter Antonia an der Elektrogitarre.

Die „Mischpoke“ wird im Februar und März in Köln in den Ehrenfeldstudios zu sehen sein, weitere Aufführungen in NRW sind in Planung.

Thomas Linden

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