Da steht er, barfuß in weißen Boxershorts mit Kapuzenpulli und Glitzer im Haar. Soeben sind Partyfeuerwerke und Jubelstürme über ihn hereingebrochen. Er scheint überwältigt davon, was gerade im Kölner Gloria Theater passierte. Andy Strauß wurde durch eine ohrenbetäubend laute Applausabstimmung NRW-Meister im Poetry Slam. Torsten Sträter, Sieger der NRW Slams 2009 und 2010 übergibt ihm den goldenen Siegergürtel mit den Worten: „Der Gewinner bin nicht ich. Irgendetwas ist da schief gelaufen …“. Strauß zeigt sich in seiner Siegerrede erfreut: „Normalerweise gebe ich mir nur selbst Titel, wie ‚Superpapst‘ oder so. Aber jetzt einen echten zu gewinnen … Ja, ich nehme den Titel an.“
Zuvor hörten die ca. 600 Zuschauer im Kölner Gloria Theater neben wenigen Ausnahmen humorvolle Texte von harmlosem Wortwitz bis zur direkten Dampfwalzenrhetorik. 12 Slammer, die jeweils drei Sieger aus den vier Vorrunden, präsentierten ihre Werke. Als Opferlamm und „Featured Artist“ präsentierte Sebastian 23 mit seinem Text „Schlechte Laune hier!“ das Pendant zu seinem ersten Solo-Programm.
Poeten, die dem Publikum Lachpausen geben müssen, …
Als erster Slammer im Wettbewerb ließ sich Der Marian gebührend darüber aus, wie erfreut er sei, der Erste zu sein. Während David Grashoff Gott als Pandabären und Satan als Kuschelhasen deklarierte, berichtete Quichotte über den Streit mit einem Grenzbeamten über die Einfuhr einer Kofferraumladung Löwenzahn aus Holland für seine hiesige Hasenzucht. Makaber wurde es bei Torsten Sträters „Die Sache mit Struppi“, einer erschreckend pragmatischen Geschichte über den Umgang von ihm und seinem Bruder mit dem Tod von Struppi, dem geliebtem Hund der Oma Christel. Den wohl am meisten aktionsgeladenen Auftritt legte Micha-El Goehre hin. In „Edwin geht steil“ sinnierte er über die Sorgen und Probleme eines sonderbaren Jugendlichen. Weitere Texte gab es von Sascha Thamm, Sushi da Slamfish, Michael Heide und Jan Möbus.
… und Poeten, die es zum Schweigen bringen.
Während die meisten Slammer Pausen zum Lachen einlegen mussten, gab es auch Poeten, denen das Publikum stumm an den Lippen hing. Eine von ihnen war Laura Reichel. Die Dortmunderin zog als Erstplatzierte vor Andy Strauß und Jan Möbus ins Finale ein und zeigte Gegenstücke zum humorbetonten Abend. Im Text „Märchenerzähler“ berichtete sie emotional von Kindheitstagen mit ihrem Vater, dessen Verlassen zu einer neuen Familien und dem damit einhergehenden Vertrauensbruch. Auch Fabian Köster ließ mit „Wenn der Tod aus rosa Zuckerwatte wäre“, einer nahegehenden Hommage an die Kindheitserinnerungen und Beziehung zu seiner gestorbenen Oma, das Publikum verstummen.
Der Sieg von Andy Strauß war logische Konsequenz des Abends. Unter viel Humorvollem und Abstrusem bot Strauß Ausnahme-Wahnsinn und eine brillante Spoken Word-Performance. Die Text-Kombination aus einem wirren Ausflug ins Reich der Drogen, der ihm den Einzug ins Finale sicherte, und seinem Finaltext „Frida“, in der er seiner Freundin Mordabsichten unterstellte und sie aus diesem Gedanken heraus umbrachte, funktionierte schon beim Bochumer Dead-or-Alive-Slam. Mit dem Münsteraner hat NRW einen würdigen Poetry Slam-Meister gefunden.
www.nrwslam.wordpress.com | www.fabian-stuertz.de | weitere Fotos vom NRW Slam 2011
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