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Thomas Hoeren
Foto: Peter Grewer

„Es gibt eine ganz einfache Strategie: nichts tun“

25. Januar 2018

Rechtswissenschaftler Thomas Hoeren über Bloßstellung in modernen Medien – Thema 02/18 Ausgeliefert

engels: Herr Hoeren, ist Demütigung bzw. Bloßstellung juristisch definiert?
Thomas Hoeren: Den Begriff der Demütigung gibt es juristisch nicht, im Zivilrecht gibt es allerdings den Tatbestand der Beleidigung. Eine Beleidigung liegt vor, wenn die Achtung vor einer Person zentral missachtet wird – das ist allerdings sehr schwer zu konturieren. Bei Missachtungen von Geltungsansprüchen von Personen tun sich die Gerichte immer schwer. Grundsätzlich ist es so, dass man im Zivilrecht zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung unterscheidet. Wenn man eine Tatsachenbehauptung über eine Person macht, dann muss die auch stimmen und einer Nachprüfung standhalten, Werturteile sind weitaus freier. Ich kann also sagen „die Merkel finde ich furchtbar“, aber ich darf nicht behaupten „die Merkel ist eine alte Lesbe“. Das gilt noch schärfer im Bereich Fotografie – es gibt eine ganze Schublade an Persönlichkeitsrechten bezüglich Fotos, da kann man eine Menge falsch machen.

Wie können Bürger sich juristisch gegen Verunglimpfungen wehren?
Auf strafrechtlichem Weg etwa durch einen Strafantrag, da gibt es ein eigenes Prüfverfahren. Das ist allerdings sehr schwierig, weil das Strafrecht in diesem Bereich sehr eng angewendet wird. Bevor jemand bestraft wird, muss schon wirklich etwas passiert sein. Im zivilrechtlichen Bereich funktioniert es etwas lockerer, da muss man sich einen Anwalt nehmen und gegen jemanden klagen – zu Schadenersatz kommt man dadurch meistens nicht, meistens wird dem Gegner nur verboten, seine Aussage zu wiederholen.

Welche Rolle spielte in den Anfängen der Massenmedien, dass ganz neue Möglichkeiten entstanden, Personen öffentlich bloßzustellen?
Das spielte schon früh eine Rolle, das Presserecht wurde genau deswegen eingeführt. Es gab Ende des 19. Jahrhunderts den berühmten Fall der Aufnahme des toten Bismarcks auf dem Sterbebett, die zwei Fotografen ohne Einwilligung der Familie gemacht hatten, was einen der ersten  Presseskandale auslöste. Damals kamen die ersten Regularien für die Presse auf. Ein weiteres Beispiel ist die Aufnahme von Friedrich Ebert in Badehosen von 1919, über die viel gespottet wurde. Danach hat man eine Kunsturheberrechtsgesetzgebung eingeführt, die die Bildberichterstattung klar regelte. In den 1950er Jahren rückten dann auch die Texte in den Fokus, die Grundlage bildete der sogenannte Herrenreiter-Fall: Ein Foto des Unternehmers und Dressurreiter Josef Neckermann war in einer Werbeanzeige verwendet worden, durch deren Text er sich verunglimpft sah. Das war der Auslöser, durch den der Bundesgerichtshof (BGH) die zivile Rechtsordnung um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht erweiterte. Letztlich war dies auch der Beginn des modernen Presserechts.

Auch der Beginn einer Presse-Ethik?
Die Presse-Ethik ist schon deutlich älter als das Presserecht, die gibt es schon sehr lange in Form des Presserats, der als Gremium Beschwerden prüft. Das war jedoch von Anfang an schwierig, denn der Presserat ist ein Organ der Selbstkontrolle durch Angehörige der Presse. Er kann letztendlich nur Verstöße gegen ethische Konventionen tadeln, mehr aber auch nicht.

Das zeitgenössische Reality-TV versucht oft, seine Protagonisten bloßzustellen. Das setzt für gewöhnlich deren Mitwirkung voraus. Können sich Betroffene dennoch wehren?
Das ist eine schwierige Problematik, mit der ich auch in meiner Zeit als Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf zu tun hatte. Der Kläger wollte damals seine Sendeeinwilligung für ein Interview mit RTL2 zurückziehen, weil er sich in dem Interview falsch dargestellt sah. Wenn er diese nun einfach so widerrufen könnte, wäre das schlimm für den Sender, der sein Material praktisch nicht mehr vermarkten würde können. Auf der anderen Seite ist auch der Ansatz „einmal Einwilligung, immer Einwilligung“ nicht richtig. Unsere Mittellösung war es, dass man einen triftigen Grund für einen Widerruf der Einwilligung braucht – dass das Interview nicht mehr gefällt, reicht nicht aus. Aber wenn man sich verarscht vorkommt, wenn man darüber getäuscht wurde, wozu die Aufnahmen verwendet werden, dann kann die Einwilligung zurückziehen.

Bei manchen Kandidaten stellt man sich als Zuschauer die Frage, ob sie die Tragweite überhaupt überblicken...
Das ist ein Problem von vielen dieser Casting-Shows, über die es auch schon viele Diskussionen mit dem Presserat gegeben hat, weil manchmal wirklich zweifelhaft ist, ob die Betroffenen ihre Einwilligung mit klarem Kopf gegeben haben. Manche Sender lavieren da hart an der Grenze, indem sie Leute finden, die zwar so klar im Kopf sind, dass sie nicht entmündigt werden, bei denen man sich aber dennoch fragt, ob sie überhaupt zurechnungsfähig sind. Es gab ja mal den Fall, wo sich ein Schauspieler im Auftrag eines anderen Senders bei „Schwiegermutter gesucht“ eingeschlichen hatte und sich bewusst als ein solcher Grenzfall inszeniert hatte – daran konnte man sehen, dass die Qualitätskontrolle bei solchen Sendungen oft nur minimal ist.

Wird hier zwischen Prominenten, also Personen des öffentlichen Interesses, und Normalbürgern unterschieden?
Prominente sind tatsächlich ein Thema für sich, da kennt die Rechtssprechung auch kein Pardon. Prominente wissen, was eine Kamera bewirkt, da ziehen wir die Grenzen anders. Im privaten Bereich sind natürlich auch Prominente geschützt – wenn sie Caroline von Monaco auf der Toilette fotografieren, bekommen sie definitiv Schwierigkeiten. Wenn sie allerdings im öffentlichen Raum bei Shopping unterwegs ist, kann man sie auch fotografieren, das ist überhaupt kein Problem.

Internet und sozialen Medien erlauben, andere bloßzustellen, selbst jedoch anonym zu bleiben. Welche Herausforderung bedeutet das juristisch?
Das ewige Problem ist eben, dass man gar nicht wissen kann, wer was schreibt, oder von wem was kam. Der Absender kann in der Nachbarschaft, aber auch in Russland, oder der Ukraine sitzen, und wenn ich nichts über denjenigen weiß, der meine Bilder ins Netz stellt, kann ich auch keine Ansprüche geltend machen. Das ist eine riesige Herausforderung, die wir nicht in den Griff bekommen. Das Internet vergisst eben nicht, es gibt keinen roten Knopf, den man drücken kann, wenn es einem zu viel wird.

Gibt es juristische Möglichkeiten, sich gegen „Cyber-Mobbing“ zu wehren?
Eigentlich nicht. Wenn ich weiß, um wen es sich handelt, habe ich natürlich die gleichen Möglichkeiten, wie im klassischen Medienbereich. Ich kann zum Beispiel zivilrechtliche Ansprüche gegen Facebook geltend machen. Aber als US-amerikanisches Unternehmen ist Facebook an die Meinungsfreiheit gebunden, die in den USA eine viel größerer Bedeutung hat als bei uns. Die werden die Dinge im Zweifel eher stehen lassen.

Man hat den Eindruck, dass der Ton im Netz ist rauer geworden ist.
Wenn man sich das historisch ansieht, auf jeden Fall. Man merkt das dadurch, dass bei vielen Seiten, etwa auch bei den Online-Auftritten von Zeitungen, die früheren Gästebücher und Kommentarfunktionen verschwunden sind. Früher konnten die Leute ganz frei nach Schnauze hetzen und böse Dinge schreiben – viele klassische Zeitungen haben darauf mit dem Abschalten der Foren reagiert. Aber wer böse Dinge schreiben will, findet auch heute noch Gelegenheiten dazu.

Seit Anfang des Jahres ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft. Wie weit greift das, können es auch Privatpersonen für sich in Anspruch nehmen?
Den zivilrechtlichen Bereich betrifft es nicht, es geht darum, bestimmte Straftaten zu ahnden. Es verpflichtet etwa Facebook, innerhalb von 24 Stunden zu reagieren, wenn ein schwerer Rechtsverstoß vorliegt. Damit hat Facebook natürlich ein Problem, weil Volksverhetzung so schwierig festzustellen ist – Gerichtsverfahren in dem Bereich dauern oft Jahre. Das wird dazu führen, das Facebook eher zu viele sperrt, um nichts falsch zu machen – das ist keine Zensur, aber es bedroht dennoch die Meinungsfreiheit. Wir in der Forschung ärgern uns maßlos über dieses unsinnige Gesetz. Es wird überhaupt nichts bringen, außer einem gewaltigen Verwaltungsaufwand, sowohl bei Facebook, als auch im Bundesjustizministerium. Die europäische Kommission wird mit Sicherheit ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnen, denn dieses Gesetz verstößt sowohl gegen die Verfassung, als auch europäisches Recht. Ich gebe dem Ganzen eine Lebensdauer von zwei Jahren.

Gibt es aus ihrer Sicht bessere Möglichkeiten, das Netz einzuhegen? Oder ist es ein unauflösbares Dilemma?
Für mich ist das tatsächlich ein Dilemma, das nicht gelöst werden kann – wenn man das freie Internet will, dann gehört es zu einem gewissen Grad auch dazu, dass man manche Dinge hinnehmen muss. Es gibt eine ganz einfache Strategie, nämlich: nichts tun. Man muss sich nicht über jede Unflätigkeit auf Facebook aufregen – ganz nach dem Motto „don't feed the trolls“.


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bündnis-gegen-cybermobbing.de | Verein, der sich speziell gegen die Online-Variante der schikanösen Unkultur einsetzt. Informiert und hilft.
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Interview: Christopher Dröge

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