Sie sind überall: Ketten! Die Stabilität unserer DNA liegt in ihnen begründet. Um den Hals gelegt, können sie uns mit Diamant und Perle zieren – oder Geknechtete ans Elend fesseln. Und es gibt Handelsketten. Die können, wie alle Ketten, offen sein oder geschlossen. In Zeiten der Globalisierung gibt es bei den Handelsketten für gewöhnlich keine Berührungspunkte zwischen Anfang (z. B. den Erntearbeitern) und Ende (den Konsumenten). Und den Kettengliedern dazwischen geht es dabei zumeist um eines: Profit.
Da sich Profit ungern um lästige Faktoren wie Umwelt oder Menschenrechte schert, beschloss der UN-Menschenrechtsrat 2011 die „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“. Plötzlich stand dieser absurde Begriff im Raum: Unternehmensverantwortung! Um so etwas hierzulande durchzusetzen, erstellten die verantwortlichen Ministerien – unter freundlicher, aktiver Zuarbeit von Wirtschaftsvertretern – einen „Nationalen Aktionsplan“, der 2016 vom Bundestag verabschiedet wurde. Der Plan erlegte den Unternehmen eine freiwillige Selbstverpflichtung auf. Die allerdings wurde nicht eingelöst. Wer konnte auch damit rechnen, dass sich Unternehmensverantwortung nicht auf freiwilliger Basis durchsetzen lässt? Nachdem freiwillige Selbstverpflichtungen bereits etliche Male vor allem zu einem Ergebnis geführt hatten: zu keinem! Immerhin legten die Verantwortlichen 2016 fest: Ein Gesetz muss her, wenn sich bis 2020 nichts tut. Damit signalisierte die Regierung: Wir kümmern uns! Vor allem aber hat sie die Sache fürs Erste um zehn Jahre verzögert. Mit Ansage.
Trumanshow 2.0: Willkommen in Happyland
Jetzt also haben wir 2020, und ein Gesetz muss her, das die Unternehmen endlich und hurtig in die Verantwortung nimmt. Damit kommt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ins Spiel: gewichtiger Wächter des Machtgefüges. Anders als Arbeitsminister Heil, der Unternehmen ab 500 Beschäftigte in die Verantwortung nehmen will, schwebt Altmaier eine Untergrenze von 5000 vor. Das Gefüge soll ja nicht zu gefügig werden!
Doch während unsere Regierung die Umsetzung relevanter UN- und EU-Auflagen kategorisch in weite Ferne palavert, gibt es noch ein Glied in der Lieferkette, das die Sache auf dem kurzen Dienstweg kippen könnte. Genauer: ihr Endstück, wir Konsumenten. Nur: Wer sagt denn, unsereins sei verantwortungsbewusster als Unternehmer? Tupoka Ogette prägt in ihrem Sachbuch „Exit Racism“ den Begriff „Happyland“ und definiert damit treffend einen Zustand, in dem Privilegien von den Privilegierten als solche nicht mehr wahrgenommen werden und die Gegebenheit historisch etablierten Unrechts kollektiv verdrängt ist. Trumanshow! Nur ist, anders als beim ahnungslosen Truman Burbank, unser Horizont erschlossen: Keiner kann behaupten, er wisse nichts vom Drumherum, von der Herkunft unseres Fleisches, unseres Kaffees, unserer Smartphones. Trotzdem kann man kollektiv verdrängen, die Verantwortung nach oben abgeben, um dann wieder vereint aufzubegehren, wenn Gesetze von oben „meine Freiheit“ einschränken. Willkommen im Happyland!
Trotzdem: Eine Zeit des Umbruchs scheint greifbar. Menschen wie Tupoka Ogette und Greta Thunberg offenbaren die kollektive Maßlosigkeit. Viele trotzen, viele andere erwachen und sehen sich in der Pflicht. Und der Staat? Für den Anfang würde es genügen, wenn er seine Pläne auch umsetzt. Und wenn er zumindest Transparenz schafft: Wer verantwortungsvoll konsumieren will, muss wissen, wo das Produkt herkommt. Damit wir Ketten (er)schließen können.
Aktiv im Thema
saubere-kleidung.de | Die deutsche Abteilung des internationalen Netzes Clean Clothes Campaign (CCC), das sich seit 1989 für Gerechtigkeit in der Modeindustrie einsetzt.
lieferkettengesetz.de/ | Der Zusammenschluss diverser Organisationen veranschaulicht, warum es ein Lieferkettengesetz braucht, was es leisten kann und was dafür zu tun ist.
brot-fuer-die-welt.de/themen/gegenargumente-lieferkettengesetz/ | Das Hilfswerk entkräftigt geläufige Einwände gegen ein Lieferkettengesetz.
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