Man hat was gehört. Man spricht drüber. Man weiß nichts Genaues. Dass die Krebsrate rund ums Braunkohlerevier am Niederrhein besonders hoch ist, ist unter Anwohnern schon lange ein Thema. Auch dass die Feinstaubemissionen der riesigen Gruben nicht nur gefährlich sind, weil sie über Atemluft, Wasser und Gemüse Schadstoffe in den menschlichen Körper transportieren, sondern dass sie sogar radioaktiv sind. Solche Gerüchte haben gute Gründe: Schon 1978 erbrachte das amerikanische Oak Ridge National Laboratory den Nachweis, dass Kohlegruben und -kraftwerke ihre Umgebung stärker radioaktiv kontaminieren als Atomkraftwerke. Der Grund: Mit der Kohle werden bei der Öffnung der Gesteinsschichten viele andere Stoffe gefördert und verfeuert, auch radioaktive wie Uran, Thorium und Kalium 40. Eingeschlossen im Gestein sind sie kein Problem. Zutage gefördert aber kontaminieren sie die Kraftwerksasche, sickern ins Grundwasser oder heften sich an die lungengängigen Feinstaubteilchen rund um Kraftwerke und Gruben.
Durchschnittlich 0,2 Gramm Uran enthält Braunkohle pro Tonne, der Abraum etwa 0,8 Gramm. Klingt wenig, bedeutet aber, dass allein in Deutschland bei der Braunkohlenutzung pro Jahr 388 Tonnen Uran bewegt werden. Was es damit auf sich hat, wollen Bürgerinitiativen und BUND seit langem gerne ein bisschen genauer wissen.
Dass aus Gerüchten Gewissheiten werden, daran gibt es jedoch von offizieller Seite eher wenig Interesse: „Durch den Braunkohletagebau liegt keine relevante Belastung für die Bevölkerung aufgrund von Radioaktivität vor“ erklärte Landesumweltminister Johannes Remmel im November 2013 und präsentierte eine Studie, die vorrechnete, dass die radioaktive Belastung rund um die Grube im Bereich der natürlichen Schwankungsbreite liege. Gleichwohl wird ein Zusammenhang zwischen Feinstaubkonzentration und Alpha-Aktivität der Teilchen, also Strahlung, zugegeben. Und gemessen wurde für die Studie nur „stichprobenartig“. Genaueres wüsste man, wäre die Gesamtmenge an belastendem Feinstaub im Revier bekannt. Die aber wird auf absehbare Zeit nicht ermittelt: „Es gibt bislang keine Methodik, um die Gesamtemissionen zu messen“, bilanziert Dirk Jansen vom BUND NRW. In zwei Ausschreibungen habe das Bundesumweltamt bislang Anreize zur Entwicklung einer Methodik geschaffen. Ohne Resonanz. „Es entsteht der Eindruck, dass die Forschung in diesem Bereich einfach nicht mit dem nötigen Nachdruck betrieben wird“, sagt Dirk Jansen. Erst vor zehn Jahren begann man überhaupt – vor allem auf Drängen des BUND – mit Feinstaubmessungen im Braunkohlerevier und stellte fest, dass man hier „Hotspots des Feinstaubs“ hatte. Teure Maßnahmen mussten die Betreiber infolgedessen zur Bekämpfung des Feinstaubs treffen. Lägen mit der Gesamtmenge an Feinstaub auch Werte zur Strahlenbelastung vor Ort vor, könnte es erneut teuer werden. Aber das ist nicht einmal in Sicht: „Der Tagebau ist nach wie vor eine Blackbox für uns“ sagt Jansen.
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