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Holzwege nachhaltiger Forstwirtschaft
Foto: Amélie Kai

„Kinder kennen mehr Automarken als Baumarten“

27. Mai 2016

Norbert Weber über den Sinn des Waldes im Stadtgebiet – Thema 06/16 Waldeslust

engels: Herr Weber, warum ist Wald für den gemeinen Stadtmenschen wichtig?
Norbert Weber: Gerade für Städter bietet der Wald einen vielfältigen Nutzen als Erholungsraum in innerstädtischen Waldparks oder größeren Waldflächen in der Umgebung. Bei einem Waldbesuch, egal ob mit Joggingschuhen, Nordic-Walking-Stöcken oder Kinderwagen, kann man den Stress des Alltags ziemlich gut abschütteln. In vielen Fällen sind stadtnahe Wälder auch für die Trinkwasserversorgung, als Frischluftschneisen oder für den Lärmschutz wichtig.

Haben Menschen heute einen anderen Zugang zum Wald? Viele wissen ja heute nicht mal mehr, welche Bäume bei Ihnen an der Straße stehen.

Norbert Weber
Foto: privat

Norbert Weber (56) ist Professor für Forstpolitik an der Technischen Universität Dresden.


In der Tat haben viele Städter heute den Bezug zum Wald und auch zur Natur verloren. Kinder kennen mehr Automarken als Baumarten, für manche Erwachsene ist Wald nur eine grüne Kulisse entlang der Autobahn. Ein großer Teil der Bevölkerung liebt den Wald an sich, aber auch den massiven Holztisch oder den Holzfußboden zuhause. Wehe aber, wenn dafür ein Baum gefällt werden soll. Hier versucht die Waldpädagogik gegenzusteuern. Denken Sie in diesem Zusammenhang auch an die stadtnahen Waldkindergärten, die in den letzten Jahren „wie Pilze aus dem Boden geschossen sind“.

Entstehen durch innerstädtischen Forst Werte für die Kommunen?
Sie verwenden das Stichwort „Werte“ zu Recht, da es nicht nur um den Verkauf von Holz geht. Städtische Grünflächen und Wälder sind wertvolle Güter, die früher oft leichtsinnig als Flächenreserve betrachtet und teilweise verbaut wurden. Heute haben die meisten Verantwortlichen erkannt, dass bewaldete Grünflächen das Wohlbefinden der Bürger ungemein stärken. Das geht sogar soweit, dass Menschen in Krankenhauszimmern mit Waldblick schneller gesund werden. Es ist aber schwierig, diese Wirkungen in Euro und Cent auszurechnen.

Wie können Städte aktiv Wald auf ihrem Gebiet fördern?
In den dicht besiedelten Ballungsräumen in Deutschland ist es schon eine große Herausforderung, die vorhandenen Wälder zu schützen. Noch schwieriger ist es, neue Waldflächen anzulegen. Ich denke, dass es aber auch hier Möglichkeiten gibt, zum Beispiel auf Industriebrachen. Ermutigende Beispiele für eine gezielte Neuanlage von Waldflächen im städtischen Umfeld gibt es zum Beispiel aus den Niederlanden, Dänemark oder auch Großbritannien. Dort wird „urban forestry“ sehr professionell betrieben. In Deutschland gehört auch Wuppertal zu den Städten, die Walderhaltung und Waldpflege als wichtiges Aufgabenfeld ansehen.

Einer Ihrer Schwerpunkte ist die Forstpolitik. Können Sie kurz erklären, was Forstpolitik in Deutschland und international ausmacht?
Wir beschäftigen uns mit dem Spannungsfeld zwischen den vielfältigen gesellschaftlichen Ansprüchen an den Wald, den Rechten und Pflichten der Waldeigentümer und der Leistungsfähigkeit des Ökosystems Wald. Dabei analysieren wir die Probleme und versuchen Lösungsalternativen aufzuzeigen. Auf nationaler Ebene geht es beispielsweise um die Regelung von Konflikten zwischen Holznutzung, Naturschutz und Walderholung; um geeignete Organisations- und Rechtsformen für staatliche Forstbetriebe; um Förderprogramme für private Waldbesitzer. International beschäftigt uns vor allem die Frage, was man gegen die andauernde Zerstörung der tropischen (und teilweise auch der borealen) Wälder, mit all ihren negativen Folgen für die biologische Vielfalt und das Klima, unternehmen kann.

Welche forstpolitische Linie verfolgen Sie selbst?
Persönlich bin ich der Überzeugung, dass wir uns in Mitteleuropa bei der zunehmenden Stilllegung von Waldflächen und bei der Überführung nachhaltig bewirtschafteter Wälder in Wildnisgebiete- so paradox das klingen mag – „auf dem Holzweg befinden“. Während in anderen Teilen der Welt massiver Raubbau an den Wäldern betrieben wird, legen wir unsere grünsten Fabriken still. Deshalb favorisiere ich Ansätze eines integrativen Naturschutzes, bei denen eine schonende Ernte von Holz auf dem größten Teil der Waldflächen weiterhin möglich bleibt.

Wie nötig ist Aufforstung?
Kollegen aus der Forstökonomie haben einmal ausgerechnet, dass man mit großflächigen Aufforstungen von mehreren Millionen Hektar einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Platz dafür hätte es genug: Weltweit gibt es etwa eine Milliarde Hektar an Flächen, die keine Vegetation mehr tragen und deren Böden in einem sehr schlechten Zustand sind. In China wurde der Beweis erbracht, dass auch in wüstenartigen Regionen großflächig wieder Bäume wachsen können, wenn man es geschickt anstellt.

Können Sie diese geschickte Methode der Chinesen einmal erklären?
Für den Erfolg der chinesischen Aufforstungsprogramme gibt es mehrere Gründe: eine klare politische Zielsetzung, eine Vielzahl von leicht verfügbaren Arbeitskräften und technische Raffinessen wie zum Beispiel das Abwerfen von Baumsamen aus Flugzeugen. Bei diesem Verfahren umhüllt man die Samen mit kleinen Lehmkugeln, um ihnen das Überleben in der ersten Wachstumsphase zu ermöglichen. Insgesamt hat sich die Waldfläche Chinas seit den 90er Jahren fast verdoppelt, wenn auch viele dieser neuen Wälder in der ersten Generation nur aus Pappeln oder Tamarisken bestehen und noch nicht multifunktional sind. Die Kehrtwendung in Richtung „mehr Wald“ kam nicht von ungefähr. Millionen von Menschen mussten lange unter Dürren und Sandstürmen leiden, weil es in weiten Teilen des Landes keine schützende Vegetationsdecke mehr gab. Eine ähnliche Situation bestand übrigens vor einigen hundert Jahren auch im Norden Deutschlands, als die Sandböden weitgehend freigelegt waren.

Welche nachhaltigen Methoden der Forstwirtschaft bringen den meisten ökologischen Erfolg?
Ich denke, dass wir uns hier an Hanns-Carl von Carlowitz orientieren können, der vor mehr als 300 Jahren als Oberberghauptmann in Freiberg für die Versorgung der Bergwerke mit Holz zuständig war. Er hat in seinem berühmten Buch „Sylvicultura Oeconomica“ nicht nur erstmals den Begriff „nachhaltend“ als Postulat für die Forstwirtschaft verwendet. Ihm ging es um einen ganzheitlichen Ansatz: Die Verbindung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten bei der Nutzung von Ressourcen. Heute haben wir die modernen Technologien, um das zu verwirklichen: von Simulationsmodellen für das Baumwachstum über Laserscanning bis hin zu innovativen Holzbauverfahren.

www.tu-dresden.de (Technische Uni Dresden mit Fachbereich Forstwirtschaft)


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Aktiv im Thema

www.wpz-burgholz.de | Waldpädagogisches Zentrum (WPZ) & Arboretum Burgholz des Regionalforstamtes Bergisches Land
www.wald-und-holz.nrw.de | Landesbetrieb Wald und Holz NRW
www.wald.de | Stiftung Unternehmen Wald
www.wuppertals-gruene-anlagen.de | Förderverein Historische Parkanlagen Wuppertal e.V.

Thema im Juli: FREIHEIT – Menschenrecht oder Illusion?
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Interview: Florian Schmitz

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