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Julia Mußbach
Foto: Philipp Scholl

„Manche Flächen sind tabu“

25. September 2019

NABU-Referentin Julia Mußbach über Hochwasser-Prävention

engels: Frau Mußbach, Wasser von oben. Das ist doch eigentlich was Gutes. Oder nicht?
Julia Mußbach: Wenn wir uns gerade den trockenen Sommer hier angucken, dann ja: Alle warten auf den Regen und sind dann total happy, wenn was runter kommt. Doch es ist auch problematisch – wie wir es auch schon in den vergangenen Monaten hatten – wenn es eben zu diesen Starkregenereignissen kommt, die sich in den Flüssen zu Hochwasser ausweiten können. Nicht zuletzt sind sie für die Einzelnen eine Katastrophe.

Welche Schwierigkeiten sind da zu erwarten?
Bei diesen Starkregenereignissen treten die Gewässer extrem schnell über die Ufer, und es kann zu Erdrutschen kommen. Damit wird viel Wasser irgendwo hingeschwemmt, wo es normalerweise trocken ist. Vielleicht war früher einmal Wasser dort, aber inzwischen ist an der Stelle gebaut worden. Die Flüsse und Bäche haben also nicht mehr den Raum, den sie einmal beanspruchen konnten. Wenn es darum geht, diese starken Auswirkungen zu mindern, müsste man dahin zurückdenken, wie es früher einmal war.

Müssen wir in den kommenden Jahrzehnten stärker in die Prävention gehen?
Früher war es so, dass Hochwasserschutz sehr technisch gedacht wurde. Man hat lange geglaubt, wenn man die Deiche erhöht, dann ist man gut raus. Doch mittlerweile ist da ein Denkwechsel in den verantwortlichen Bereichen im Gange, im Sinne von: Wir müssen umfassender denken, wir müssen vorsorgender denken. Da geht es nicht mehr um die End-Of-Pipe-Lösungen, sprich Deicherhöhungen, sondern bereits darum, viel früher anzusetzen, bereits beim Wasserrückhalt in der Fläche.

Wenn zu viel Wasser mit einem Schwung kommt, das ist das Problem?
Ja, das Wasser steigt sehr schnell an, und es entstehen sehr hohe Fließgeschwindigkeiten, die eine unheimliche Kraft haben und großen Schaden anrichten. Grund dafür ist, dass den Flüssen der Raum fehlt. Viele Flussläufe wurden begradigt und Flussschleifen abgeschnitten. Dadurch ist der Weg, den das Wasser geht, viel kürzer geworden als noch vor 100 Jahren. Die ursprünglichen Auen, in denen sich das Wasser früher ausbreiten konnte, sind nicht mehr vorhanden. Das Bundesamt für Naturschutz hat 2009 einen Auenzustandsbericht heraus gegeben, aus dem hervorgeht, dass deutschlandweit nur noch etwa ein Drittel der ursprünglichen Überschwemmungsflächen zur Verfügung stehen. In manchen Bereichen großer Flüsse wie dem Rhein oder der Elbe sind vielfach mehr als 90 Prozent der ursprünglichen Überschwemmungsflächen verloren gegangen.

Szenarien wie die Jahrhundertflut können sich in Deutschland verschärfen. Welche Maßnahmen können hier ergriffen werden?
Das sind die Folgen der Urbarmachung der Flüsse und der Landschaft. Anfang der 2000er haben wir es ganz stark an der Elbe, an der Donau oder am Rhein erlebt. Der Landschaftswasserhaushalt ist hier praktisch nicht mehr so intakt wie er es früher war. Das Wasser fließt heute hauptsächlich oberflächlich ab und landet im nächsten Bach. Früher wurde ein großer Teil Wasser schon vorher abgefangen und entschleunigt, z.B. in kleinen Senken. In der freien Landschaft muss es jetzt darum gehen, den Boden wieder aufnahmefähig zu machen. Denn viele Böden sind stark verdichtet, so dass das Wasser da gar nicht gut durchsickern kann. Für den Wald wäre es wichtig, auch wieder stärker Mischwald zu etablieren. In der Stadt gibt es ganz interessante Maßnahmen, um Regenwasser zu versickern. Eine davon sind Mulden-Rigolen-Systeme, sogenannte dezentrale Versickerungssysteme. Das sind angelegte Senken, in denen sich das Wasser erst einmal sammeln kann und dann langsam über ein Filtersystem versickert. Damit wird dann nicht mehr versucht, alles über die Kanalisation abzuführen.

Wie sieht es in punkto Wasseraufnahme mit der Effektivität von Mischwald aus? Wären Sie für Aufforstung?
Auch Aufforstung, aber man kann auch schon bestehende Wälder umbauen. Man nennt das Waldumbau. Dabei wird Schritt für Schritt ein Mischwald etabliert. Einige Studien sagen, diese Bäume im Verbund halten mehr Wasser zurück als Monokulturen oder stark bewirtschaftete Wälder das könnten. Wenn ein Wald stark bewirtschaftet wird, gibt es ganz viele Rückegassen. Diese Radspuren sind von den ganz großen Gerätschaften, die dort das Holz rausholen. Diese wirken wie Abflussbahnen und führen dazu, dass das Wasser, statt den Wald zu versorgen, aus ihm raus geführt wird und in den nächstgelegenen Bach fließt.

Ließe es sich verhindern, dass viele Menschen in Hochrisikogebieten leben?
Verhindern kann man es, glaube ich, nicht. Man könnte schauen, ob man da regulativ deutlich stärker eingreift, indem man zum Beispiel sagt: Manche Flächen sind tabu. Im Prinzip haben wir so etwas in Deutschland bereits angelegt, in unserem Wassergesetz. Darin heißt es, in Überschwemmungsgebieten darf nicht gebaut werden. Gut wäre natürlich, wenn das auch konsequent angewendet würde. Denn es gibt noch viele Kommunen, die Ausnahmen für X oder Y machen. Es gibt natürlich auch so etwas wie „Bauvorsorge“, das heißt, dass Häuser an Regen und Überschwemmung baulich angepasst werden. So können erst gar nicht so viele Schäden entstehen. Das bedeutet beispielsweise, dass man die Elektrik oder die Heizungsanlagen nicht mehr im Erdgeschoss oder Keller platziert, sondern weiter oben. Es gibt auch entsprechende Auflagen, dass man im Überschwemmungsgebiet keine neuen Ölheizungen mehr bauen darf. Die Leute, die sich dort bewusst hinein begeben, die müssen sich darüber im Klaren sein, dass da auch mal was passieren kann. Hochwassergefahrenkarten gibt es für alle Bundesländer, und die kann jeder einsehen.

Schließlich haben wir schwimmende Häuser wie in den Niederlanden.
Das hört sich für uns ein bisschen futuristisch an, aber das sind wirklich spannende Konzepte, die die Niederländer haben. Schwimmende Häuser z. B., die mit dem Pegel hoch und runter gehen. Ich habe mir das da auch einmal angeguckt. Sie haben auch eine Versorgungsleitung, mit einem Spielraum von drei Metern hoch und runter und kommen damit ganz gut klar. Dort gibt es auch ein Konzept, das nennt sich Sponge City, zu Deutsch Schwamm-Stadt. Dabei wird geschaut, wo das Wasser überall zurückgehalten werden kann. In Parks werden Senken angelegt, dasselbe passiert auf Spielplätzen oder in der Einkaufsstraße. Das sieht dann aus wie ein kleiner Kanal inmitten der Fußgängerzone. Dazu werden sämtliche Oberflächen wie Dächer und Fassaden begrünt. Die Niederländer planen richtig mit dem Wasser und machen das sehr ästhetisch.

Was können Kanalisationen abfangen? Worin müssten sie sich steigern?
Die Kanalisationen können nicht alles abfangen. Problematisch ist in Deutschland, dass unsere Kanalisationen nicht überall getrennt verlaufen, das bedeutet, dass das Regen- und das Abwasser gemeinsam abgeführt werden. Am Beispiel Berlin lässt sich das gut veranschaulichen. Da hat der gesamte Innenstadtbereich eine Mischkanalisation. Das heißt, ganz egal, ob das Wasser aus der Toilette kommt oder von den Straßen, es fließt alles zusammen. Gerade bei Starkregenereignissen kommt es hier zu Spitzen, die die Kanalisation nicht mehr tragen kann. Hier läuft dieses Mischwasser dann über und gelangt ungereinigt in die Spree. Da hat sich Berlin auch schon Gedanken gemacht. Sie bauen unterirdische Rückhaltebecken, die sie dann in solchen Situationen füllen können. Durch eine intelligente Kanalisationsplanung oder Verschneidung der Wege oder der Verbindung von Kanalsträngen kann man schon was machen. Denn Starkregenereignisse sind oft lokal: Während es sich im Osten füllt, sind dann im Westen noch Kapazitäten frei, und dann könnte man das Wasser umleiten. Doch irgendwann ist dem Ganzen natürlich auch eine bauliche Grenze gesetzt.

Gibt es weitere Möglichkeiten für Kommunen?
Wenn eine Gemeinde einen Bebauungsplan aufstellt, kann sie bereits bei der Planung eines Gewerbegebiets oder Wohngebiets festlegen, wie viel Fläche versiegelt sein darf. Sie kann vorschreiben, wie groß die Hausfläche ist, wie groß die Garage sein darf. Sie könnten allerdings auch festlegen, dass Garagen ein Gründach haben und Parkplätze mit einem wasserdurchlässigen Bodenbelag gebaut werden. Sie haben ganz viele Möglichkeiten, dezentralen Wasserrückhalt zu integrieren. Aus meiner Sicht wird das nur noch viel zu wenig genutzt.

Was fordert der NABU zum Thema Hochwasserschutz?
Der Wasserrückhalt in der Fläche ist wirklich zentral. Nicht zu gucken, wo kann man den nächsten Deich erhöhen. Das ist sicherlich lokal auf jeden Fall sinnvoll, aber man muss es stärker in der Gesamtschau, also das ganze Flusseinzugsgebiet betrachten. Es geht darum, dass Wasser zurückzuhalten, bevor es irgendwo Schaden anrichtet. Dafür kann man z.B. Flussläufe verlängern, wo möglich, Deiche zurücksetzen und die Auen wieder reaktivieren, Moore renaturieren, auf eine schonende Bodenbearbeitung in der Landwirtschaft achten, kleine Abflusshindernisse in der Landwirtschaft, wie Hecken, kleine Wäldchen etc. erhalten. Und für die Stadt gesprochen, wo immer möglich Flächen entsiegeln und Regenwasser versickern lassen.


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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema

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hochwasserzentralen.de/ | Übersichtskarte mit aktuellen Hochwassermeldungen aus ganz Deutschland.
flussgebiete.nrw.de/ | Das Landesumweltministerium teilt NRW in vier Flussgebietszonen ein. Dazu gibt es unterschiedliche Hochwasserschutz- und Entwicklungspläne.
wupperverband.de/internet/web.nsf/id/pa_de_ueberschwemmungsgebiete.html | Der Wasserwirtschaftsverband informiert über Hochwasserschutz.

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Interview: Nina Hensch

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