Hiobsbotschaften überall: In Brasilien brennt der Amazonas, Island erklärte den ersten Gletscher für tot und die Bahamas wurden von Hurrikan Dorian verwüstet. All das sind Folgen des Klimawandels und, zumindest im Falle Brasiliens, Profitgier, die dafür sorgen, dass – so die vorsichtige Hoffnung – auch die Politik wach wird. Ende August sprach sich Angela Merkel überraschend für eine EU-weite Senkung der CO2-Emissionen um 55 Prozent bis 2030 aus. Geplant waren bisher 40 Prozent.
Neben Gletscherschmelze und Wirbelstürmen wird jedoch nochein weniger prominentes Problem durch den Klimawandel verstärkt. Und von diesem ist auch Deutschland konkret betroffen: Verheerende Hochwasser wie das „Jahrhunderthochwasser“ von 2002 und das Juni-Hochwasser 2013 an Elbe und Donau haben sich in den letzten Jahrzehnten bereits gehäuft und werden noch öfter auftreten.
Die Gründe sind vielfältig. Und allesamt menschengemacht. Wo sich noch Anfang des 19. JahrhundertsDeutschlands Flüsse durch die Landschaft schlängelten – heutzutage nahezu unvorstellbar, geradezu paradiesisch – , findet man nun fast ausschließlich begradigte „Wasserstraßen“. Eine Bezeichnung, die treffender nicht sein könnte. Denn die sogenannte „Flusskorrektur“, mit der etwa am Rhein 1817 begonnen wurde, diente nur einem Zweck: der Schiffbarmachung und damit dem Güterverkehr. Flüsse, die ihrem natürlichen Lauf folgen dürfen, sind heute die Ausnahme. Damit einher ging die Zerstörung der Flussauen und natürlicher Überschwemmungsflächen. Durch die Eindeichungen wurden sie von Flüssen getrennt, trockneten aus und wurden nutzbar für Landwirtschaft, Siedlungsbau und Verkehrswege. Nebenbei zerstörte man so eines der artenreichsten Biotope. Nur noch 20 Prozent der natürlichen Flussauen existieren hierzulande. Wirklich intakt sind nur zehn Prozent. Damit nicht genug: Hinzu kommt die Bodenversiegelung. Ein unglaubliches Areal von 100 Fußballfeldern wird täglich zu Bauland erklärt. Und versiegeln bedeutet versiegeln: Der Boden wird luft- und wasserdicht abgedeckt, Niederschläge können nicht versickern und fließen in die Kanäle – was bei Starkregen, der sich in Zeiten des Klimawandels häufen dürfte, die Flüsse schneller ansteigen lässt. Das durch zu trockene Sommer beschleunigte Waldsterben tut sein Übriges. Denn intakte Waldflächen sind hervorragende Wasserspeicher: Wie ein Schwamm nehmen sie Niederschläge auf und sind so für den Hochwasserschutz bedeutsam.
Was nun? Eine Korrektur der Korrekturen? Nicht zuletzt aufgrund des enormen Schadens von 6,68 Milliarden Euro durch das Hochwasser 2013 beschloss der Bundim Oktober 2014 das „Nationale Hochwasserschutzprogramm“, mit einem Schwerpunkt auf der Auenentwicklung. Auch dasBundesprogramm „Blaues Band“, das einen „Biotopverbund von nationaler Bedeutung“ zum Ziel hat, will naturnahe Fluss- und Auenlandschaften wiederherstellen oder erhalten.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat mit seiner Elbevision 2050 das Bild eines renaturierten Flusses gezeichnet.Hier ist die Elbe eine weitläufige Auenlandschaft mit ins Hinterland verlegten Deichen und reicher Vegetation. Strukturschwache Regionen könnten aufgewertet, der Tourismus angekurbelt werden.Bleibt zu hoffen, dass es nicht nur eine Vision bleibt.
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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
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flussgebiete.nrw.de/ | Das Landesumweltministerium teilt NRW in vier Flussgebietszonen ein. Dazu gibt es unterschiedliche Hochwasserschutz- und Entwicklungspläne.
wupperverband.de/internet/web.nsf/id/pa_de_ueberschwemmungsgebiete.html | Der Wasserwirtschaftsverband informiert über Hochwasserschutz.
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