Wie schnell der Missbrauch von sozialen Medien in den Alltag von Kindern eingreifen kann, erlebten zahlreiche Wuppertaler Schüler Anfang des vergangenen Jahres. Damals gründeten bis heute unbekannte Nutzer eine Facebook-Gruppe, die ihresgleichen suchte. Dort wurde dazu aufgerufen, Gerüchte über Wuppertaler zu veröffentlichen – ungeprüft, unkommentiert und in der Regel unverschämt. Unter den Opfern befanden sich auch zwei Mädchen aus Ronsdorf. Als sie von üblen Nachreden betroffen waren, verweigerten sie es tagelang, zur Schule zu gehen. Lehrer und Eltern schalteten die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft ein. Die Facebook-Gruppe und mehrere Ableger, die schnell aus dem Boden sprossen, wurden aus dem Netz genommen. Trotzdem konnten die Ermittler nie abschließend klären, wer für die einzelnen Straftaten verantwortlich war.
Auch heute bringt die Gefühlskälte und das schier grenzenlose Mobbing die beteiligten Verantwortlichen von Polizei und Jugendamt noch auf die Palme. Als „Vollkatastrophe“ bezeichnet Irmgard Stinzendörfer von der Stadt die Facebook-Gruppe. Stinzendörfer ist Sozialpädagogin und beim Amt für Kinder- und Jugendschutz unter anderem für das Thema Cybermobbing verantwortlich. Cybermobbing, das ist Internet-Neudeutsch für Beleidigungen, Verunglimpfungen, Bedrohungen und Belästigungen über das Netz. Es ist schwer zu sagen, inwieweit diese neuartigen Straftaten in Wuppertal in der letzten Zeit zu- oder abgenommen haben. Die Statistik der Polizei erfasst nur die Straftatbestände als solche, nicht aber, ob sie im Internet oder in der realen Welt vorgefallen sind. Ralf Weidner von der Wuppertaler Polizei wagt trotzdem eine Einschätzung: „An den Schulen ist Cybermobbing gefühlt sehr verbreitet“, sagt der Kriminalhauptkommissar. Für die Kriminalprävention der Polizei ist er im Jahr in rund 50 Klassen an 15 Schulen unterwegs. Dort klärt er über die Gefahren im Internet auf und gibt den Kindern Verhaltensrichtlinien.
Besonders schwierig ist, dass das Mobbing mit dem Schulgong nicht mehr aufhört, wie es früher war. Durch Handy, Messenger oder soziale Medien kommen Opfer nicht mehr aus dem Kreislauf heraus. Sie sind theoretisch 24 Stunden am Tag erreichbar. Oder können 24 Stunden lang ohne ihr Wissen vor einer großen Zahl von Lesern angegriffen werden. „Die Kinder haben keine Ruhe mehr. Letztendlich ist es auch schwierig, einmal Geschriebenes wieder aus dem Internet zu löschen. Und die Hemmschwelle für die Täter ist geringer, wenn sie am PC sitzen und keine Reaktion ihrer Opfer mitbekommen“, sagt Irmgard Stinzendörfer. Um sich nicht selbst ins Fadenkreuz zu bringen, sollten die Kinder genau überlegen, was sie wann wem schreiben. Sie sollten sich die Frage stellen, ob sie das, was sie da gerade ins Netz posten, auch auf einer großen Leinwand auf dem Schulhof schreiben würden. „Dieses Beispiel wirkt immer ganz gut“, sagt Stinzendörfer.
Aktiv im Thema
www.freiherr-knigge.de | Webseite von Benimm-Berater Moritz Freiherr Knigge
www.bündnis-gegen-cybermobbing.de | Verein Bündnis gegen Cybermobbing
www.bka.de | Das Bundeskriminalamt bietet Infos zu Internetkriminalität
Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
WELTENKINDER – Was bedeutet Kindsein heute? (Thema im September)
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