
Trat ein junger Mann im Jahr 2000, welches vom gegenwärtigen Zeitpunkt aus weiter entfernt liegt als das Jahr 2050, als Schulabgänger bereitwillig den Wehrdienst an, gehörte er einer Minderheit an, einer Spezies, deren Aussterben von vielen beschrien, für manche schon besiegelt war. Die meisten seiner Altersgenossen hatten sich in diesem neuen, aufregenden anarchistischem Medium Internet via Netscape Navigator einen Musterbrief heruntergeladen, der ihren Unwillen zu Drill und körperlicher Ertüchtigung sowie zum Tausch von Jacken von Fishbone- und Fila gegen Feldjacke in wohlklingende Worte von Moral und Menschlichkeit hüllte.
„Duty“ statt Vaterland
Die überwältigende Mehrheit der eben der Pubertät entwachsenen Männer verdingte so einen Ersatzdienst, den sogenannten Zivildienst, den sie weniger als sinnstiftenden Dienst an der Zivilgesellschaft ansahen, sondern eher als weniger sinnentleert als den Dienst an der Waffe. Der einzige Ruf zur militärischen Pflicht, dem diese Generation nachkam, war ab 2003 der Ego-Shooter „Call of Duty“ auf dem PC. Wer sich ein G35-Gewehr mal in echt und nicht nur digital ansehen und dieses auch bei strömendem Regen im Kasernenhof zerlegen und zusammensetzen wollte, der galt unter seinen Altersgenossen mindestens als Sonderling; in gymnasialen und gesamtschulischen Kreisen wurde er bisweilen sogar als gestriger Kriegstreiber in einer friedlichen Welt beschimpft (über hauptschulische Umtriebe weiß der Autor leider nichts zu berichten).
Wahre Feinde
Hat der Regen, der während der neun Monate Bundeswehrzeit gefühlt häufiger fiel, nachgelassen, konnte der junge Mann das Zerlegen und Zusammensetzen seines HK-Markenproduktes einstellen. Während seine ehemaligen Klassenkameraden durch die Kaschemmen streiften, tat er dann Kasernen-Streife. Er sollte den Kasernenzaun nach Löchern inspizieren und die Augen offen halten nach verdächtigen Personen, die über das Gelände schlichen und am technischen Gerät der Bundeswehr herummanipulierten. Schnell wurde ihm klar, dass es sich dabei nicht um „den Russen“ handelte und auch nach September 2009 nicht um langbärtige Bombenattentäter, sondern um sogenannte – es schien eine Art offizieller militärischer Fachausdruck zu sein – „langhaarige Bombenleger“. Der Feind der Bundeswehr war der linke Wehrkraftzersetzer, der Antifant und seine Freundin, die Friedensaktivistin, die gegen die Bush-Regierung demonstrierte. Weniger euphorisch als selbstverständlich wurde die Aussetzung des Wehrdienstes 2011 dann auch angenommen.
Flexible Pazifisten
Die Friedensaktivistin ist heute Ferienwohnungsbesitzerin und fordert Waffenlieferungen in die Ukraine. Der langhaarige Bombenleger hat nie Bomben gelegt, dafür aber seine Haarpracht ab (zum Teil genetisch bedingt). Beruflich legt er als Informatiker Firmennetzwerke an und sieht die kritische Infrastruktur in Deutschland durch Russland bedrohnt, pardon, durch Drohnen bedroht. Daher befürwortet er eine Wiedereinführung des Wehrdienstes. Der Truppenpanzer, den er vor 20 Jahren mit pinker Farbe beworfen hat, fährt schließlich immer noch, der hält das aus.
Der ewige Knüppel
„So lange es einen Knüppel gibt auf der Welt, muss man auch wissen, wie man sich gegen Knüppel wehrt“, hat der Wehrdienstleistende damals gesagt. Gegengewalt erzeugende Gewalt wurde ihm daraufhin an den Kopf geworfen und Gewaltspiralen. Vielleicht hat er mitgemacht in einem System, das diese Spirale so groß gemacht hat, dass sie auch im Kreml rotierte. Vielleicht hat das linke Pärchen damals Recht gehabt und dank geistiger Flexibilität hat es das auch heute.
Wehretat vs Bierkonsum
Die Spirale dreht sich so schnell, sie entwickelt eine Sogwirkung. Insbesondere saugt sie Geld aus dem Bundeshaushalt. Gerade eben wollten ein paar Millionen noch in ein bezahlbares Deutschlandticket wandern oder in den sozialen Wohnungsbau (nein, Quatsch, streichen Sie diesen Teil; dahin ist seit Jahren nichts mehr gewandert), da saugen die steingrau-olivfarbenen und schwarz-roten Arme der Gewaltspirale sie auch schon ins Verteidigungsministerium. Seit jenem Jahr 2000 hat sich der Militäretat in Deutschland mehr als verdreifacht. Im gleichen Zeitraum ist der Bierkonsum in Deutschland um mehr als ein Viertel gesunken.
Bierschwemme
Im Internet, das heute weniger neu, aufregend und anarchistisch ist, gehen Videos viral, die Menschen im wehrpflichtfähigen Alter zeigen, wie sie Bier auf äußerst effiziente Art und Weise konsumieren: mittels Biertornado. Durch geschicktes Schleudern der Flasche im Handgelenk entsteht ein Strudel in der Flasche, durch welchen sich ihr Inhalt beim Umkippen in rasender Geschwindigkeit gen Mund ergießt. Diese Videos machen Hoffnung. Diese jungen Menschen wollen den Status quo von 2000 wiederherstellen: weniger Militär, mehr Bier. Brauerheer statt Bundeswehr. Hektoliter stattHeckler & Koch. Warum Zapfenstreich, wenn es noch zum Zapfen reicht? Die Gewaltspirale kann nur mit einem Biertornado aufgehalten werden, einem Biertornado, der auch den Kreml überschwemmt, das Weiße Haus, die Knesset und irgendein als Waisenhaus getarntes Hamas-HQ und alle Orte, an denen es immer noch (oder wieder) mehr Knüppelschwinger als Friedensaktivistinnen gibt.
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