Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Produkte der Musikindustrie: Haben okkulte Mächte ihre Finger im Spiel?
Foto: Dominik Lenze

Moderne Mythen

22. Dezember 2015

Über krude Weltbilder in der Popmusik – Popkultur in NRW 01/16

Fast wäre Xavier Naidoo mit umgedrehtem Nummernschild nach Stockholm gefahren, um die BRD-GmbH beim Eurovision-Songcontest mit gewohnt langweiliger Erbauungsmusik zu vertreten. Dann sprang mit lautem Rattern die Empörungsmaschine an, der NDR zog die Nominierung zurück, Freunde des Sängers bekundeten Solidarität – nun singt er in irgendeiner Vox-Show mit B-Promis.

Was beim Skandal um die Persona Naidoo leider unterging: eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den skurrilen Weltbildern, denen nicht nur Naidoo anhängt, sondern zunehmend mehr Menschen – und die längst ihren Weg in die Popkultur gefunden haben. Während ein Teil Musik als l‘art pour l‘art betreibt, macht sich an anderer Stelle zunehmend ein modernes Mythen-Denken breit.

 

Doch noch einmal von vorne: Naidoo stand wegen homophober Textpassagen in der Kritik, sowie Liedern, die, wenn sie nicht direkt antisemitisch sein mögen, sich zumindest aus der unappetitlichen Mythen- und Bilderwelt antijüdischer Verschwörungstheorien speisen. 2014 sprach er auf einer Demo der sogenannten „Reichsbürger“, den braun gefiederten Paradiesvögeln unter den Verschwörungstheoretikern: skurrile Gesellen, die Deutschland für ein besetztes Land, die Bundesrepublik für eine Firma halten und sich – je nach Unterströmung – die Rückkehr des Deutschen Reiches oder die Ausrufung eines Freistaates Preußen herbeisehnen – so zum Beispiel Naidoos Zuhörer. Ihr Erkennungszeichen sind umgedrehte Nummernschilder an ihren Autos, was ab und an zu unterhaltsamen Polizeimeldungen führt.

 

Was Naidoo und die „Reichsbürger“ eint, ist mit Sicherheit nicht die politische Gesinnung – damit täte man diesem offenkundig verwirrten Sänger unrecht, wie er da ohne Peil auf der Rednerbühne steht und davon brabbelt, dass er einfach alle liebt. Der gemeinsame Nenner ist der irrationale Glaube an geheime Herrschaftseliten, gegen die „wir“ uns erheben müssen – und da unsere Politiker ja alle Marionetten wären, seien Wahlen eh Unfug.

 

Mit derlei Gedanken steht Naidoo nicht alleine da: Der Düsseldorfer Rapper Kollegah sagt in Songs der „New World Order“ den Kampf an, einschlägige Facebook-Seiten zählen inzwischen mehr Likes als die FAZ. Umgekehrt steht auch die Musikindustrie bei einigen selbsternannten Infokriegern im Verdacht, in obskure Machenschaften verstrickt zu sein: So seien die Pariser Attentate verschlüsselt in einem Musikvideo von Bushido weisgesagt worden und Universal werde von Okkultisten geleitet – O-Ton eines vermeintlichen Experten: „Ritualmorde sind nicht ausgeschlossen.“

 

Einen großen Teil davon kann man getrost als groben Unfug rechts liegen lassen. Schwierig wird es, wenn Musiker ihre pseudoreligiösen Gedankenkonstrukte als ernsthafte Systemkritik verkaufen wollen und es offenkundig einen fruchtbaren Boden dafür gibt. Derlei Unsinn durch den Kakao zu ziehen, wie es die Düsseldorfer Antilopen Gang macht, ist angebracht. Es einfach zu ignorieren, bringt nichts. Vielleicht sollte man die postmodernen Ersatz-Religionen als Symptom dafür begreifen, dass der gegenwärtigen Popkultur vor allen Dingen eines fehlt: ernsthafte, kritische Musik.

Dominik Lenze

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

All die Frauen und Prince
Zwei Musikbücher widmen sich Sex, Körper und Gender im Rock ‚n‘ Roll – Popkultur 06/20

„Die besten Bands müssen nicht von ihrer Kunst leben“
René Regier, Veranstalter des Solinger Cow Club, über den Kulturauftrag – Interview 01/19

Grenzenlos episch
Live gespielte Game-Soundtracks werden zum Megaevent – Popkultur in NRW 11/18

Immer genau dahin wo's wehtut
Selbstfindungsrandale mit Danger Dan und Juse Ju – Popkultur in NRW 09/18

Sich trauen, außerhalb der Reihe die Zukunft zu bauen
Neue Deutsche Welle revisited in Hagen – Popkultur in NRW 08/18

Odyssee im Ruhrgebiet
Weltoffene Konzerte umsonst und draußen – Popkultur in NRW 07/18

Tiefenentspannt in Duisburg
Traumzeit-Festival mit Mogwai, Slowdive und The Great Faults – Popkultur in NRW 06/18

Das Recht auf Spaß
We Are Scientists und die Fun-Bombe – Popkultur in NRW 05/18

Global denken, lokal tanzen
NRW Kultursekretariate fördern musikalischen Reichtum – Popkultur in NRW 04/18

Das Gegenteil von Coolness
Sängerin Elif taucht uns tief in ihre Liebe ein – Popkultur in NRW 03/18

Lalla:Labor statt La La Land
Tatkräftige Musikförderung an der Ruhr – Popkultur in NRW 01/18

Das Geld liegt auf der Straße
Musikmesse create & connect will dem Nachwuchs zu Erfolg verhelfen – Popkultur in NRW 11/17

Musik.

Hier erscheint die Aufforderung!