Es ist schwierig, sich dem Zauber der Prosa von Barbara Honigmann zu entziehen. Nüchtern und klar kommen die Sätze daher, und doch schwingt Gefühl in ihnen. Eine Färbung mit Emotion, die unweigerlich süchtig nach mehr macht – gerade weil sie so dezent abgeschmeckt ist. In ihrem neuen Buch „Bilder von A.“ beschreibt sie eine Liebe, die sich durch ihr ganzes Leben ziehen sollte. Gezündet wurde sie in Ost-Berlin bei einem Freund von Barbara Honigmann, die damals ihr Auskommen als Malerin fand. Ihr Freund hatte den in den siebziger Jahren schon berühmten Regisseur Adolf Dresen eingeladen. Man sprach über dessen bevorstehendes Kleist-Projekt, redete sich in jenen Zustand glühender Begeisterung, der fast schon trunken macht. So fuhren die beiden spät in der Nacht gemeinsam heim, sie vorne auf der Stange seines Fahrrads. Und irgendwann, ausgerechnet vor dem großen Stalin-Denkmal, küssten sie sich im ersten Morgenlicht.
Romantisch? Ja, romantisch, weil sich eine ganz spezielle Künstler-Liebe entwickelt. Man zieht nicht einfach zusammen, er war 15 Jahre älter und hatte Frauen und Kinder, sie suchte die große Liebe. Es klingt der Traum von einer besseren Welt an, die beide in der Kunst zu finden hoffen. Ein intensives Spiel zwischen Nähe und Distanz entwickelt sich, prätentiös, aber auch so zart und aufmerksam, dass es nicht einfach von den Gesetzen des Alltags zertrampelt werden kann. Nur kurz, für ein paar Tage auf einer Moskaureise, werden sie ein Paar. Aber der Faden dieser Beziehung bleibt Teil ihres Lebens. Er verkehrt als Theater-Star in einer anderen Welt, wenn er auch den Glamour tüchtig verachtet. Später geht er in den Westen, auch sie kehrt der DDR den Rücken. Dass sie ihren religiösen jüdischen Wurzeln nachspürt, befremdet ihn, den aufgeklärten Linken. Man verkracht sich. Eine offene Wunde bleibt, da sie beide vor seinem Tod im Jahr 2001 nicht mehr zueinander finden.
„Bilder von A.“ ist auch ein Buch über Deutschland, seine geistigen Horizonte und seinen Umgang mit den Künstlern. Ein Buch, aus den Scherben einer Liebe gemacht; aber Scherben machen ein Leben auch reich. Der wiederkehrende Satz „A. ist jetzt tot“ klingt, als befände A. sich jetzt in einem anderen Seinszustand, der deutlich macht, dass der einstmals Geliebte in ihr fortlebt. Gleichwohl, Barbara Honigmann steht mit beiden Füßen auf der Erde, bei ihr hält die Realität eine erregende Intensität für die Leser bereit – gerade weil sie ungeschönt ist.
Barbara Honigmann: Bilder von A. | Carl Hanser Verlag, 140 S., 16,90 €
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