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Philip Mancarella
Foto: Sven Evertz

Auge und Ohr profitieren

29. Mai 2019

Philip Mancarella schreibt die etwas andere Musik für den Tanz – Tanz am Rhein 06/19

Ein Tänzer, der sich die Musik selbst macht, so etwas hat es noch nicht gegeben. Der koreanische Tänzer Dong UK Kim lieferte 2017 ein faszinierendes Solo in der Zusammenarbeit mit der Choreografin Julia Riera und ihrer Produktion „MIRA 6_89 Grad“. Ein Jahr später gewann die Gruppe MIRA dann erstmals den Kölner Tanztheater Preis. Eine Säule ihres Erfolgs besteht in der Kombination von Tanz und Musik, denn hier folgt man nicht dem üblichen Muster, eine Choreografie einfach mit Musik zu unterlegen. Vielmehr pflegt das Team einen Dialog auf Augenhöhe zwischen den Künsten des Tanzes und der Musik – eine auch für das Publikum neue und überaus inspirierende Erfahrung. Sitzt man im Publikum, beschleicht einen der Eindruck, als würden die Klänge wie in einem Gespräch auf die Reaktionen des Körpers reagieren. Hinter dem musikalischen Konzept steht Philip Mancarella, 36-jähriger Musiker und Komponist, der von sich sagt, dass er seine Ausbildung als Jazz-Pianist an der ArtEZ Hoogeschool vor de Kunsten in Arnheim „wirklich genossen“ hat. Arnheim ist eines der Zentren für den Tanz innerhalb der Benelux Länder – offenbar ein fruchtbares Biotop für Menschen, die das Spiel mit der eigenwilligen Vielfalt der Künste lieben.

„Von ganzem Herzen bin ich Musiker“, sagt Philip Mancarella, „aber ich musste mir mit dem Programmieren Geld verdienen.“ Musikalische Experimente und die Tüftelei am Computer hatte er stets als unvereinbare Leidenschaften verstanden, bis plötzlich die Idee in ihm keimte, den Computer als handwerkliches Instrument zu nutzen. Choreografin und Tänzer können selbst wählen, wie sie die Musik zu den entsprechenden Bewegungsabläufen benötigen. „Ich gebe ihnen etwas vor und wenn ich das von ihnen Gewünschte nicht habe, wird es eben gebaut“, erklärt Philip Mancarella. „Das typische Tanzpublikum richtet seine Aufmerksamkeit auf das Visuelle und versteht die Musik eher als Unterstützung“, aber wenn der Musiker auch um die Gewohnheiten der Zuschauer weiß, so bleibt die Musik doch ein eigener Mitspieler, der seinerseits mit Bewegung reagiert. Ganz im Sinne von Julia Riera, die innere und äußere Räume in den Produktionen von MIRA in eine Beziehung bringen möchte.

Spektakulär stellte sich die Situation dar, als Dong UK Kim während seines Auftritts Tempo, Rhythmus, Härte und Lautstärke der Klänge selbst abrufen konnte. Philip Mancarella erzählt, wie er ein Jahr lang an Sensoren, Microcontrollern und Programmierungen arbeitete. „Oftmals rief das Team bei mir an und fragte, wann bist du fertig, wir wollen trainieren und ich konnte dann nur sagen: Bald, bald.“ Heute lacht er darüber, wie er sich in der Arbeit an dem Projekt aufrieb und am Ende mit dem Ergebnis doch nicht zufrieden war. Für das Publikum bleiben die Ambitionen jedoch im Verborgenen, was vielmehr Wirkung erzeugt, ist die Lebendigkeit seiner Kompositionen. „Den Zufall wollte ich in die Musik einbringen, jedes Mal ein bisschen mehr“, erklärt er. Tatsächlich wird die Produktion mit der Unberechenbarkeit der Abläufe körperlicher. Die Konzentration für das, was sich dort vorne ereignet steigert sich in dem Maße, in dem die Bewegung unberechenbar wird. Das ist das Abenteuer, auf das Julia Riera und Philip Mancarella das Publikum mitnehmen.

Der moderne Tanz ist immer eine politische Kunst gewesen, in wie weit kann ein solches Konzept gesellschaftliche Bewegung aufnehmen? Philip Mancarella ist da eher skeptisch, dem Tanz bescheinigt er zwar eine provozierende Wirkung, „für einen Musiker ist es hingegen schwieriger, man darf nicht vergessen, dass man das Radio auch abschalten kann“, sagt er. Gleichwohl, die sensible Arbeit des ehrgeizigen Ensembles setzt sich in diesem Herbst mit MIRA 8 fort und man darf gespannt sein, wie die Musik dann wieder zum Mitspieler wird.

Thomas Linden

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