Eines bedarf der Differenzierung: Ja, bestätigt Valérie Favre, sie male figurativ. Aber sie sei keine figurative Malerin. Das sei nur eben eine geeignete Methode sich auszudrücken, eine von mehreren. Ihre Malerei selbst erwächst aus dem Auftrag vieler Farbschichten. Das figurative Geschehen schält sich geradezu aus der Materie heraus und wechselt fast übergangslos ins Gegenstandsfreie. Malerei wird zum Resonanzraum des mentalen Prozesses.
Valérie Favre, die in der Kunsthalle in Barmen einen furiosen Einblick in ihre jüngste Malerei liefert, hat im Laufe ihres Werkes außerdem mit Zeichnung und Collage sowie Performance, Skulptur, Sound und Installation gearbeitet. Und bevor sie überhaupt als Künstlerin in Erscheinung trat, war sie als Bühnenbildnerin und Schauspielerin in ihrer Schweizer Heimat und in Paris tätig. Die theoretischen und dramaturgischen Erfahrungen, etwa zum Einbezug des Publikums, fließen auch heute noch in ihre künstlerische Arbeit ein, vielleicht sogar mehr denn je. Und seit sie 1998 nach Berlin gezogen ist, hat sich Favre nach und nach einer narrativen Malerei zugewandt, welche Urbilder unseres Unterbewusstseins – wie sie noch über das Theater, die Literatur, die Märchen und den Film vermittelt werden – in Szene setzt. Ausgehend von der Grundstimmung des Künstlichen, ja, Virtuellen (etwa im Wald der Deutschen Romantik), hat dies schließlich mit der Serie der „Théâtres“ (ab 2007) zu äußerst vitalen Szenerien des Schauspiels und des Varietés geführt, mit Verweisen auf die Commedia dell‘Arte und Shakespeare bis hin zu Sarah Kane. Die Bühne mit ihren Podesten und Vorhängen wird zur Folie, auf der sich figurenreich die Geschichten, Konflikte und Abenteuer des Lebens ereignen. Diese dreiteiligen Bilder besitzen das Cinemascope-Format des Kinos, überhaupt wimmelt es hier an Anspielungen und Zitaten auf die verschiedenen kulturellen Sparten. Eine Wahrsagerin, Zauberer und Akrobaten, der Clown, Majoretten und Musikanten auf Augenhöhe mit Tierwesen und sogar der Erzähler im Sessel vis-à-vis zum Publikum treten vereinzelt oder in Gruppen auf: dieses fokussierend oder miteinander sprechend oder singend, dabei gestikulierend oder auch tanzend, wobei einzelne dieser Charaktere auch in anderen Werkgruppen von ihr vorkommen.
Ein Bezugsfeld ist die Kunstgeschichte seit der Renaissance, was besonders bei der Bildserie der kleinformatigen „Ghost (nach Goyas Hexenflug)“ deutlich wird. Diese Bilder beziehen sich auf Goyas Meisterwerk und zeigen die drei Hexen mit ihren hohen Hüten, wie sie auf ihren Armen einen Leichnam in die Unterwelt verbringen. Dabei gehen Favres Arbeiten von Mal zu Mal auf konkrete Ereignisse und drängende Fragen unserer Zeit ein: 9/11 etwa, Studien zum Selbstmord, Genderfragen (herausragend in der Ausstellung: Valérie Favres Bilder zu Manets „Olympia“) oder die Flüchtlingskrise: Kunst ist bei Valérie Favre, die als Professorin für Malerei an der UdK in Berlin lehrt und zu den wichtigsten Vertreterinnen ihres Metiers gehört, eine hoch brisante Disziplin.
Und dann diese Stille. Ein Raum der Ausstellung ist den „Balls and Tunnels“ vorbehalten: Diese Serie zeigt Malerei als Konzept. Auf der Grundlage von Tintenspuren, die in die Leinwand gesickert sind, realisiert Favre seit 1995 konsequent pro Jahr ein Bild. In der tiefenräumlich hellen, gegenstandsfreien Malerei driften einzelne fetzenartige Bewegungen nach außen. Der Titel spielt auf die primären männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane an, angesprochen ist auch die Vorstellung vom Urknall. Auf der praktischen Seite aber geht es noch um den schöpferischen Prozess der Malerei selbst, mitsamt der Relativierung aller Illusion: Schließlich sei Malerei nichts anderes als Fläche, Farbe und Zufall, sagt Valérie Favre. Es gelingt ihr grandios.
Valérie Favre | 28.8.-8.1. | Von der Heydt-Kunsthalle in Barmen | 0202 563 65 71
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