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Ausstellungsfoto im Fließtext: Tobias Zielony, Make up, aus der Serie „Maskirovka“, 2017
Foto: © Tobias Zielony / KOW, Berlin

„Den Leuten auf Augenhöhe begegnen“

31. August 2017

Tobias Zielony über seine Ausstellung „Haus der Jugend“ – Sammlung 09/17

Der Wuppertaler Fotograf dokumentiert immer wieder Jugendliche und junge Erwachsene, stellt seine aktuellen Werke „Maskirovka“ über Techno und Queer in Kiew jetzt in der Von der Heydt-Kunsthalle aus.

engels: Herr Zielony, ihre Ausstellung heißt „Haus der Jugend“. Ist das Haus der Jugend nicht längst voll?
Tobias Zielony: Der Titel stammt von dem Ort, an dem die Ausstellung stattfindet. Die Von der Heydt-Kunsthalle in Barmen – ich komme ja aus Wuppertal – hieß früher Haus der Jugend. Das ist für mich auch eine Art Heimkehr und ein Hinweis, dass es auch mein Haus der Jugend gewesen ist, in dem ich jetzt eine Einzelausstellung habe.

Sie fotografieren eine junge Generation – im Vorbeigehen oder in einer Inszenierung?
Das Interessante an dieser Ausstellung ist, dass ich auch alte unveröffentlichte Fotos von 1997 bis 2003 zeige und die neuen Bilder aus Kiew. Dazwischen liegen ungefähr 15 Jahre, in denen ich auch viel fotografiert habe, aber die Fotos werden nicht gezeigt. Natürlich kann man so in der Ausstellung sehen, wie viel sich verändert hat, auch in meiner Arbeit – und inwieweit die Frage nach Inszenierung und Selbstinszenierung, nach den Möglichkeiten, und die Frage, was sich die Leute für Identitäten suchen, immer mehr in den Mittelpunkt gerückt ist. Ich denke schon, dass die Frage nach Inszenierung eine zentrale Stelle in meiner Arbeit einnimmt. Nicht nur rein praktisch, weil ich selbst nicht immer inszeniere, oft ist es tatsächlich Beobachtung – aber ich fotografiere eben auch Menschen, deren Alltag es ist, sich zu inszenieren oder ein Bild von sich zu entwerfen.

Wie schützt man diese Menschen vor dem Zynismus der Betrachter?

Tobias Zielony
Foto: Gene Glover

Bio:

Tobias Zielony studierte an der University of Wales, Newport, und der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Nach einer Gastprofessur an der Folkwang Universität der Künste in Essen hat er seit 2009 die Professur für Künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Medien Köln.

Erstmal gehe ich nicht davon aus, dass die Betrachter meiner Bilder an sich zynisch sind. Ich glaube auch nicht, dass ich es in irgendeiner Weise bin. Natürlich bleibt die Frage, inwieweit man so einer möglichen Betrachtung Vorschub leistet, indem man zum Beispiel Menschen negativ oder als Opfer darstellt oder als Leute, die ihr Leben oder Teile ihres Lebens selbst in die Hand nehmen. Ich versuche immer, auf niemanden herabzuschauen, den Leuten auf Augenhöhe zu begegnen, mit Respekt. Dabei hoffe ich, dass sich diese Haltung auf die Leute, die die Bilder anschauen, überträgt und dass sie das wahrnehmen und vielleicht auch sich selbst hinterfragen. Denn oft haben Leute gerade über bestimmte Gruppen, bestimmte Menschen Vorurteile.

Bleiben die Jugendlichen die Kollateralschäden des Kapitalismus oder werden sie die Zukunft?
Ich habe sehr viele Jugendliche in unterschiedlichen Gegenden fotografiert. Nicht nur, aber das ist ein Schwerpunkt meiner Arbeit. Man verbindet mit diesem Alter oder mit der Jugend allgemein ein Gefühl von Aufbruch oder Erneuerung. Ich denke, dass es auch heute noch so ist, dass es eher die jungen Leute sind, die Dinge hinterfragen, die neue Ideen haben oder die Energie, die auch umzusetzen. Das Traurige ist, dass gerade diese Jugendlichen oft besonders benachteiligt sind. Zum Beispiel, wenn man nach Südosteuropa guckt: Die Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen geht manchmal hoch bis zu 50 Prozent; so werden genau die Leute, auf die es ankommen könnte, entweder ganz ausgeschlossen oder haben sehr schlechte Chancen. Das Problem mit dem Kapitalismus ist, dass man ihn kritisieren kann, ihm aber irgendwie nicht entkommt. Schon deshalb ist es keine reine Kapitalismuskritik. Ich habe das schon mal so formuliert, dass es, wenn das System bei der Idee „Wenn es Gewinner gibt, muss es auch Verlierer geben“ darauf gepolt ist, Gewinner zu produzieren, dann immer auch eine negative Seite gibt. Weil das wie ein angebauter Mechanismus ist. Interessant sind gleichzeitig die Strategien von Menschen, damit umzugehen, dagegen anzukämpfen oder sich alternative Räume zu schaffen und nicht einfach da stehen zu bleiben – auf der Seite der wie auch immer Benachteiligten.

Wie wichtig ist in so einer Ausstellung die Information für die, die mit Fotografie nicht so bekannt sind, sich da durchfinden können?
Grundsätzlich ist es eigentlich so, dass Fotografie ein sehr zugängliches Medium, eine zugängliche Kunstform ist. Jeder hat die Erfahrung, Bilder, Fotografien anzuschauen und darüber nachzudenken. Das ist auf der einen Seite etwas sehr alltägliches. Wenn es um meine Arbeit geht, geht es nicht nur um die Fotografien, sondern auch um die Leute und die Orte, die gezeigt werden. Das hat immer diese zwei Ebenen. Und ich glaube dass sich die Menschen, selbst wenn da nicht immer Erklärungstexte stehen, Zugang dazu erarbeiten können. Aber es wird schon kürzere Wandtexte geben und einen Katalog.

Und eine Stop Motion Animation.
Ja, ich mache inzwischen auch viele Videos. Das sind oft Animationen. Ich habe eine neue Technik ausprobiert, eine Art Doppelanimation, wo zwei Geschichten, nacheinander, übereinander, also immer doppelt erzählt werden. Das ist relativ schwer zu erklären und auch ziemlich verwirrend. Aber jedes zeitbasierte Medium entwickelt eine Art von Narration – und so ist es in meinem neuen Video auch. Für mich ist diese Arbeit eine eigenständige Art der Arbeit, da geht es sehr um Fragen darüber, wie überhaupt Bedeutung produziert wird. Durch dieses fast gewalttätige Übereinanderlagern zweier Erzählstränge wird das auch wieder gesprengt. Es ist eine Art von Montage, wie in bestimmten sowjetischen Filmen. Ich glaube nicht, dass dieses Video viel hilft, die Fotos zu verstehen, aber es öffnet einen größeren Kontext.

Welche Wahrheit kann man heute noch mit Fotos transportieren?
Ich glaube, dass wir uns schon lange davon verabschiedet haben, zu denken, dass ein Foto in sich eine Wahrheit mit sich herumtragen kann. Es steht vielleicht in Beziehung zu anderen Konstruktionen von Wahrheit. Ich würde das so formulieren, dass Wahrheiten immer eine Konstruktion sind oder eine Übereinkunft zwischen Menschen, die sich auf etwas einigen. Aber ich würde auch sagen, dass diese Wahrheit außerhalb der Bilder liegt und wäre sehr vorsichtig mit dem Begriff.

„Tobias Zielony. Haus der Jugend“ | ab 10.9. | Von der Heydt-Kunsthalle | 0202 563 65 71

Interview: Peter Ortmann

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