„Ich verstehe es eigentlich nicht.“ Mochte das auch resigniert klingen: Ratlos oder gar unkundig wirkte Daniela Dahn in der Alten Wupperfelder Kirche keinesfalls – ihr Erstaunen basierte im Gegenteil auf klaren Einsichten. Die pazifistische Essayistin sprach zum Ukrainekrieg und war mit ihrem Buch „Im Krieg verlieren auch die Sieger“ gekommen. Dass sie mehr frei sprach, als daraus zu lesen, verstärkte den souveränen Eindruck.
Ein Satz zu Anfang traf den Tenor des Abends: „Neben dem heißen Krieg läuft auch ein Wirtschaftskrieg. Und auch ein Krieg der Narrative“, formulierte Dahn und ergänzte: „Das macht die Sache so schwierig.“ Als eine Art Grundthese kam das daher, und ihr entsprach dann der Fortgang der Veranstaltung des Wuppertaler Friedensforums in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW und der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner NRW.
Kampf um Narrative
Dahn war zu DDR-Zeiten Mitbegründerin der oppositionellen Gruppe Demokratischer Aufbruch. Die deutsch-deutsche Vereinigung kritisierte sie prominent als „überstürzt“, sogar als „feindliche Übernahme“. Heute unterstützt sie die Kriegskritik á la Sahra Wagenknecht oder Alice Schwarzer, deren Aufruf pro Verhandlungen mit Russland sie unterzeichnete. Interventionen der Presse gegen diesen Vorstoß kommentierte sie: „Die Nervosität darüber, ob hier der Neubeginn einer machtvollen Friedensbewegung gesetzt wurde, scheint doch sehr groß zu sein.“
In einer Hinsicht vielleicht war der Abend unbefriedigend. Im gut gefüllten Saal der früheren Kirche am Wupperfelder Markt war das Unbehagen am Westkurs erkennbar einhellig, das zeigten auch die Nachfragen, die Dahns Thesen durchweg bejahten und ergänzten. Man war gewissermaßen unter sich. Viele Positionen hätten vor Ort sicher manchen erstaunt, wäre denn das Publikum gemischter gewesen. Denn zu sehr wich Dahns Lesart vielfach von der in der bundesdeutschen Öffentlichkeit verbreiteten Einordnung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ab. Mit Blick auf die Schreckensvision eines Atomkriegs betonte sie: „Hinter diesem Szenario muss die Unabhängigkeit der Ukraine zurückstehen.“
Die Einsicht, dass zum Verstehen eines Konflikts die Vorgeschichte gehört, ist einerseits eine Binsenweisheit, andererseits hat sie im Ukraine-Diskurs keinen allzu starken Stand. „Ich kann hier wohl einiges voraussetzen“, sagte Dahn dennoch mit Blick auf die Aufgeschlossenheit im Saal und hatte wohl Recht damit. Für sie stand außer Zweifel, dass der Westen gegen Vereinbarungen der Nato-Ukraine-Charta von 1997 verstieß und bis an Russlands Grenzen Aufrüstung betrieb. Fazit: „Der aktuelle Krieg war nicht unprovoziert.“
Welche Freiheit?
Welcher Freiheitsbegriff sei gemeint, fragte Dahn, mit Blick auf die Auffassung, die Ukraine kämpfe „für die Freiheit“. Sie hielt den Hinweis entgegen, dass seit Antritt der Regierung Selenskij eine neoliberale Wirtschaftsagenda verfolgt werde. Offenbar mit zweifelhaften Vorbildern, zu denen laut Dahn – zum Erstaunen mancher im Saal – Augusto Pinochet gehöre. Der einstige chilenische General ging nicht nur mit marktradikalen Reformen, sondern auch als brutaler Diktator in die Geschichte ein.
Zum „Majdan“, den Massenprotesten von 2014, erinnerte die Publizistin daran, dass die damals gestürzte Regierung demokratisch an die Macht gekommen war. Zwar möge der Beginn der Demonstrationen aus dem Volk gekommen sein, doch schließlich sei er von interessierter Seite okkupiert worden. Dahns Urteil: „Ein Putsch.“ Seither hätten in der Ukraine die Nato-Übungen begonnen. Das mochte an Bedenken erinnern, die in anderen Kontexten durchaus Konjunktur haben: Der Befund, dass etwa die USA weltweit lokale Konflikte instrumentalisierten, ist gängig. Dahn widersprach auch Ausführungen von behördlicher Seite: So heiße es auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung, auf ukrainischem Gebiet habe es nach der Nato-Ukraine-Charta von 1997 keinerlei vertragsbrüchige Waffenstationierungen gegeben. Dahn: „Das ist offensichtlich falsch.“
Einseitige Berichterstattung
Der Eindruck einer einseitigen medialen Berichterstattung zog sich gewissermaßen als ein Metathema durch den Abend. Zum einen bei Dahn selbst, die feststellte, dass selbst die Forderung von UN-Generalsekretär António Guterres, dass es eine multipolare Weltordnung brauche, medial lediglich knapp bedacht werde. Es galt dann auch fürs Publikum. Eine Anwesende, laut Bekunden ehemalige langjährige Hörfunkjournalistin, bat zwar um Verständnis für Sachzwänge, die Dissidenz für freie Journalisten oft schwer machten. Ihr Urteil über von ihr behauptete „Sprachregelungen“ bei öffentlich-rechtlichen Sendern lautet indes: „Beklagenswert.“
Hätte es wohl Buhrufe gegeben, wenn Vertreter der kritisierten Interpretationen des Kriegs nach Wupperfeld gekommen wären? Davon ist auszugehen. Gab es Aha-Erlebnisse? Gewiss, auch Zweifler der Ausführungen sahen sich vor Ort nicht allein. „Zusammen halten“, empfahl denn auch Dahn, „es wird nicht leichter“. Bündige Gegenpositionen mag ihr Besuch hinterlassen haben – etwa diese: „Waffenlieferungen ohne politisches Konzept sind reiner Militarismus.“
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