Ein Haudrauf-Präsident will Amerika „wieder groß(artig) machen“. Doch was Trump und Geschwister im Geiste tatsächlich vergrößern, sind Ressentiment, Machtgefälle, Feindseligkeit. Wenn nun ein Sommerfest „Make solidarity great again!“ skandiert, ist das mehr als freche Kontrafaktur: Es setzt Zusammenhalt als Konzept gegen systematische Kälte. Auf dem Caritas-Gelände um Unterbarmens Herz-Jesu-Kirche wurde der Slogan konkret, zudem hör- und schmeckbar.
Man hätte dem Fest mehr Besucher gewünscht, mangels Zuspruchs zog kurz entschlossen ein Großteil des Programms mit allen Akteuren in den Saal der Begegnungsstätte KuKuNa. Hier stellten unterschiedliche Akteure ihre Ansätze vor, darunter das Wuppertaler Friedensforum. Etwa zur Halbzeit ging es in den grünen Hof, als echtes Idyll an der Wupper gestaltet. Ein Chor unter dem politischen Musiker Ulrich Klan intonierte so anrührend wie entschlossen Lieder unter dem Motto „Singen statt Hetze und Hass“. Draußen informierten Stände von Amnesty International oder iranischen Oppositionellen über ihre Arbeit. Nachher sollte noch ein Podium mit Wünschen an den oder die künftige Oberbürgermeisterin folgen – als lokale Umsetzung des Festtitels.
Unser Nutzen, deren Schaden
Was genau Solidarität heißen und wie sie sich äußern kann, ließ sich bei alldem in Facetten studieren. Mehr noch: Wer kam und sich einließ, gewann auch eine Ahnung vom subversiven Gehalt des beliebten und manchmal verwässerten Begriffs.
Vielleicht rührt generell am stärksten ans Prinzip der Solidarität, wenn Zuwendung eher nicht erwartbar scheint. Etwa weil man selbst Nutznießer ist: Smartphones sind Zentralinstrument moderner Alltagsorganisation; die rücksichtslose Gewinnung nötiger Rohstoffe spielt unserem Bedarf erst einmal in die Hände, die Umstände blenden wir gern aus. Ein Vorstoß wie jener der Theatergruppe Lieferkette schießt da quer und kontert die Erwartungshaltung. Stephanie Walter referierte die Umstände bei Abbau wie auch Recycling und machte bewusst, dass die schicken Geräte zu Gedankenlosigkeit verführen: „Sie wirken so sauber und einladend.“ Gegründet hatte sich die Truppe aus Anlass des Primark-Baus am Döppersberg – vor Jahren drohend, mittlerweile realisiert und, wie jeder Wuppertaler weiß, längst prägend für die Optik von Bahnhof und Innenstadt. Der Konzern steht für ökologisch und sozial fragwürdige Wegwerfkleidung, auch als Fast Fashion bekannt. „Wir wollten damals mehr tun als nur Flyer verteilen“, erinnert sich Stephanie Walter; inzwischen tritt man mit den fertigen Performances (heute per Film zu verfolgen) auch kurzfristig bei Anlässen auf. Auch ein eigens geschneidertes Handy-Kostüm liegt zum aufklärerischen Einsatz bereit.
Kolonialismus und Diktatur
Um sich dem Wesen von Solidarität zu nähern, taugte auch die Initiative „Decolonize Wuppertal“, für die Dirk Jädke sprach. Die Bewegung richtet den Blick auf die koloniale Stadtgeschichte und hat dazu einen Rundgang entlang einschlägiger Adressen im Tal konzipiert – auch etwa am Kino Rex, wo es einst rassistische „Völkerschauen“ gab. Die Botschaft, solidarisch zu sein, mag sich hier besonders an Menschen richten, denen es an Fremdheitserfahrung mangelt. Man könnte auch sagen: Die von der im Imperialismus gründenden globalen Abhängigkeitsordnung bis heute profitieren – die also, wie im Falle des Handys, Nutznießer sind.
Anders der Fall Nicaragua: Mit dem schon 1978 gegründeten Informationsbüro zu dem lateinamerikanischen Land hat Wuppertal eine Jahrzehnte alte Tradition der Solidarität, seit das dortige Somoza-Regime gestürzt worden war. Es gab Kontakte etwa zu dem sozialistischen Geistlichen und Poeten Ernesto Cardenal, und bis heute verfolgt man wach die Lage im Land, das unter dem einstigen Revolutionär Ortega längst selbst autoritäre Züge trägt. Angesichts der langjährigen Verbindung hatte dieser Programmpunkt sicher das Zeug zum Vorbild einer Solidarität mit langem Atem, „für eine neue Welle“, formulierte eine Akteurin.
Kämpferischer Zusammenhalt
Stichwort subversiv: Man könnte solch ein Fest böse als arg zahmes Bild zeichnen: Gutherzige Menschen, in Harmonie vereint, singen im Kirchgarten von Friede und Freude. Doch als Beschreibung wäre das falsch, denn kritisches Potenzial blitzte an jeder Ecke durch. Das neu betextete „Bella ciao“, neuerdings oft zum Partyhit gezähmt, war einst Hymne italienischer Partisanen. Der Chor erinnerte bei allem zivilen Wohlklang an seine offensiven Wurzeln – „we must act, we need it now“. Und die Organisation FIAN (FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk), hörte man, erstreitet vor Gericht Lohn für Kaffeearbeiter in Uganda oder Entschädigung für verwüstenden Bauxit-Abbau in Peru (wörtlich „verwüstend“: Wie auf Fotos bestätigt, waren Gebiete zu „roten Staubwüsten geworden“). Solche Erfolge, wurde betont, seien „handfester Ausdruck unserer Arbeit vor Ort“.
Fazit des Festes, das bloß mit mehr Zugkraft hätte beworben werden mögen: Zusammenhalt heißt auch, klare Ansagen zu machen. Solidarität ist nicht nur Kuscheln, sondern kontrovers und kämpferisch.
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