Als Politiker-Typ ist Ralf Stegner eher knorrig. Als leicht verkniffen könnte man ihn wahrnehmen, inhaltlich kantig positioniert sich der Sozialdemokrat nicht erst seit dem Ukrainekrieg. Auch wenn sein Auftritt in der Solinger Cobra das Kontra-Image bestätigte: Sein Rat zum „Reden“ mit Russland argumentierte nicht etwa kühl strategisch, sondern emotional. Seine Selbsteinordnung: Kein Pazifist, denn der alliierte Einsatz gegen Nazideutschland sei nötig gewesen – „Aber ich bin dafür, den Krieg zu beenden".
Skeptische Promis
Stegner war im Juni einer der Erstunterzeichner des SPD-Manifests für einen anderen Umgang mit Russland. Die Reaktionen reichten von Skepsis bis Spott, Naivität gehörte noch zu den harmloseren Vorwürfen. Wer nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Einwände gegen den Offensivkurs des Westens äußert, erlebt derlei oft. Mehrere Prominente, die solche Einwände erhoben haben, davon hatte der Organisator, das Solinger Friedensforum, für Besuche gewinnen können. Die Moskau-Expertin Gabriele Krone-Schmalz hatte die lokale Presse nach Eindruck des Forums noch ignoriert, nach großem Zuspruch aber die Nachfolgeausgaben begleitet, etwa mit dem Philosophen Richard David Precht.
Im Rekord zum Truppenplatz
Im Saal, diesmal weniger gefüllt, bestand sichtlich Einigkeit zwischen Gast, Gastgebern und großteils auch dem Publikum, erkennbar nicht zuletzt an den Zuschauer-Statements. Der Talkshow-erfahrene Parlamentarier zeigte effektvolles Reden: Den Vorschlag von Rolf Mützenich, damals SPD-Fraktionschef, den Krieg „einzufrieren“ und die darauffolgende schroffe öffentliche Ablehnung und Empörung, pointierte Stegner – typisch – zunächst trocken: „Es ging ihm ja nicht um Permafrost.“ Später erläuterte er, es gehe um „Zeit zum Reden, um Wege zu finden, dass es im Interesse aller Seiten ist“. Zum Wandel mancher, auch in seiner Partei, hin zum Pro-Militärischen: „Vom Ostermarsch zum Truppenübungsplatz sind einige in Rekordgeschwindigkeit gewechselt.“
Welche Diplomatie genau?
Unkonkret blieb der Abend bei Vorschlägen, was genau denn Inhalt der geforderten Diplomatie sein könne. Mögliche Friedenstruppen aus Indien oder China zählten dazu. Zu punkten wusste Stegner mehr auf einer Ebene, die beim besagt grimmigen Gestus überraschen mochte: „Empathie“ empfahl er und wiederholte das in der Fragenrunde. Beigetragen hatte dazu offenbar sein Besuch im vergangenen Jahr im ukrainischen Kriegsgebiet. Er sprach nun von Bunkern, Gesprächen mit Kindergärtnerinnen, verwundeten „Soldaten ohne Augen, ohne Beine“. „Beschäftigt und beeindruckt“ habe ihn das. Seine Folgerung, die denn auch den Tenor des Solinger Auftritts ergab: Mit Kriegsopfern fühlen – und genau deshalb fürs Kriegsende arbeiten. Prägnant stand dafür ein Satz, der so sehr nach stur-lapidarem Stegner klang wie nach persönlichem Berührtsein: „In jeder kleinen Stadt werden Särge durch die Gegend getragen.“
Politisch enttäuscht
Einig waren sich Friedensforum und Redner auch in einem konkreten Punkt. Beklagt worden war, es fehle an Widerstand in der Gesellschaft gegenüber dem Rüstungskurs, und mancher Wortbeitrag im Saal („Ich habe das Vertrauen in die Politik verloren“) klang fatalistisch, nach resigniertem Sich-Dreingeben in einen Weg zur Eskalation. Stegner widersprach, betonte den Wert demokratischer Möglichkeiten.
Unerwartete Bündnisse
Bei einer Ermunterung gegen Ende wusste das Forum den Gast auf seiner Seite: Der Politiker hatte sich zuvor gegen die politisch erwogenen Mittelstreckenraketen ausgesprochen. Ein Hinweis der Gastgeber auf den „Berliner Appell“, hervorgegangenen aus einer Friedensdemo, stellt sich gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Im Netz heißt es dazu: „Die geplanten Hyperschallraketen ‚Dark Eagle‘ steigern die Spannungen und sind insbesondere für Deutschland eine Gefahr, zum Ziel eines Präventivangriffs zu werden.“ Unterzeichnet haben bislang so unterschiedliche Akteure wie Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, die Theologin Margot Käßmann, die Sänger:innen Hannes Wader und Katja Ebstein. Ob auch sie inzwischen als „Putin-Versteher“ gelten, bleibt abzuwarten.
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